Film

Breaking The Waves

FILM 'BREAKING THE WAVES'Samstag abend sah ich mir Lars von Triers „Breaking The Waves“ an. Am Sonntagnachmittag danach einen irischen Film: „Das weiße Pferd“. Die Handlung begann in einer trostlosen Plattenbausiedlung unter Sozialhilfeempfängern in Dublin. Der Film handelte von einem alleinerziehenden Vater und seinen drei minderjährigen Söhnen. Ned Reilly und Kinder entstammten einer Minderheit in Irland, den so genannten ‚Travellers‘, dem fahrenden Volk, das es seit Jahrhunderten in Irland gibt. Viele irischen Geschichten haben sie tradiert und auch das ohnehin nicht gerade arme irische Liedgut mit ganz besonderem Gesängen bereichert. Ihre eigenartige Religion speist sich aus alten Mythen – die Mondgöttin spielte eine ganz besondere Rolle -, die mit christlichen Gedankengut verknüpft sind.

Der Film war sicher keine Milieustudie, auch nicht als solche gedacht, zeigte aber authentisch und mit viel Einfühlungsvermögen das Elend der Kinder, deren Vater nach dem Tod der Mutter, die bei der Geburt des jüngsten starb, aus der Bahn geworfen wurde. Während der Vater das Geld, das er durch Gelegenheitsarbeiten verdient, regelmäßig versäuft, schwänzen die Kinder die Schule, um sich durch kleine Diebstähle und Bettelei durchs Leben zu schlagen. Verwoben wird diese Alltagsgeschichte mit der mythischen Erzählung von Tyr na nog, hier präsent in Gestalt eines Schimmels, der dem jüngsten Familienmitglied zugelaufen ist. Der Film wirkt nie rührselig und schafft es auch dank guter Darsteller, nicht kitschig zu sein, obwohl er durch den Einbruch des Mythos in die Gegenwart der Phantasie des Zuschauers weiten Raum lässt. In drastischen Worten und Taten wird man aber immer wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt, etwa wenn die Kinder in Alltagssituationen die gesellschaftliche Ächtung als Fahrende erfahren oder der Vater in der Gefängniszelle als „Abschaum“ brutal verprügelt wird. Wenn es auch ein modernes Märchen ist, so nimmt dieser Film auch emotional mit, als Reilly zum Ende des Films seinen jüngsten Sohn gerade noch vor dem Ertrinken retten konnte, mit den Kindern zu seiner Sippe zurückkehrt und es schließlich nach über sieben Jahren schafft, die Vergangenheit loszulassen. Und als er dann, dem Volksglauben entsprechend, die Seele seiner verstorbenen Frau ziehen lässt, indem er alle ihre Habe endlich verbrennt, da hatte ich Tränen in den Augen.

Um es vorwegzunehmen: Bei Lars von Trier war das nicht so. Ja, der Film wühlt auf, durch das, was er erzählt, durch das, wie er es erzählt, durch die Intensität der schauspielerischen Darbietung, vor allem Emily Watsons in der Rolle der Bess. Dennoch ging es mir am Schluss des Films ähnlich wie nach dem Mehrteiler ‚Geister‘ vom selben Regisseur. Der Film verstört, verunsichert, und hinterlässt bei mir doch einen schalen Beigeschmack. Ich finde ihn verlogen. Aufgefallen ist mir das zuerst bei der Filmmusik. Wolf Biermann hat, als er Anfang der 70er Jahre die Texte der exilchilenischen Gruppe Karaxu – ein kurzlebiges Projekt des chilenischen Liedermachers Patricio Manns – ins Deutsche übersetzte, sinngemäß gesagt, es gäbe so viel Falschheit und Verlogenheit in der zeitgenössischen Musik, wo vielfach Rhythmen und Klänge einfach nicht zu den Texten passen, die sie transponieren sollen. Filmmusik verändert die Aussage jedes Films, sie kann die Intensität unterstreichen, die filmische Botschaft kanalisieren, sie vermag sogar die Bilder zu konterkarieren und dadurch verstörend zu wirken. Ein Regisseur wie Stanley Kubrick beispielsweise, der die Musik zu seinen Filmen immer sehr sorgfältig aussuchte, hat es mit ‚Clockwork Orange‘ fertiggebracht, dass für mich synthesizergespielte Bachmusik wohl für immer mit Orgien der Gewalt verknüpft sein wird.

Aber was macht Lars von Trier? Er wendet sich sozusagen an den Intellektuellen im Musikhörer. Seine Filmmusik, sieht man einmal vom letzten Bach-Stück für Trompete und Orgel ab, steht unverbunden neben den Bildern, ist nur Intermezzo und soll lediglich durch die ausgewählten Textpassagen den melodramatischen Kick erhöhen. Disparates Songmaterial von Mott The Hoople über Python Lee Jackson, Jethro Tull, Thin Lizzy, Elton John, Roxy Music, T. Rex oder Cohen wird bierernst …. als Text zitiert. Dabei fällt ihm nicht mal auf, dass ausgerechnet die Passage mit den vestalischen Jungfrauen aus dem vielleicht bild- und wortgewaltigsten Popsong, der jemals die britischen Charts krönte, Procol Harums ‚Whiter Shade of Pale‘, eher eine Schmunzelnummer ist.
Doch der ganze Film ist eine Komposition von Versatzstücken, die eigentlich nicht so recht zueinander passen wollen. Die Proleten sind klischeehaft prollig (wenn ich nur an die Szene mit der zerdrückten Bierdose denke, die Bess‘ Vater, der aussieht wie der Kanzelprediger aus John Huston’s Moby Dick-Verfilmung, noch dadurch toppt, dass er im Gegenzug sein Glas zerdrückt und sich danach grimmig das Blut ableckt); die pietistische Gemeinde scheint, was Ansichten und Habit betrifft, eher direkt aus Nathaniel Hawthornes ‚Scarlet Pimpernel‘ entsprungen, als dass man sie irgendwo im heutigen Irland verorten könnte. Aber sie dient sowieso nur als Kontrastfolie, vor der das schicksalhafte Geschehen unweigerlich seinen Lauf nehmen muss. Sie soll den seelischen Konflikt Bess‘ als Mitglied einer Gemeinde strikter Observanz verdeutlichen und wirkt auf mich doch nur wie die Staffage aus einem Historienfilm.

Durch suggestive Bilder gelingt es von Trier, den Zuschauer in den Bann zu schlagen. Er gefällt sich in der Rolle des Verführers mit voyeurhaften Zügen, was Sex und Gewalt, die bei ihm irgendwie lustvoll zusammenzugehören scheinen, anbelangt. Er scheut sich nicht, emotionsgeladene pseudoreligöse Einsprenksel bis hin zu einer kruden Mischung aus Passionsgeschichte und Maria Magdalena gezielt einzusetzen; er will nicht wie ein guter Regisseur eine Story erzählen, sondern er komponiert Bilder und Handlungsteile, um den Zuschauer emotional aufzuwühlen. Kein Mensch weiß, warum sich Bess‘ nicht nur prostituiert, sondern dies auch für jeden gleich sichtbar macht, indem sie ihren Nuttendress ständig trägt, sogar hinterher mit dem blutbefleckten Schnitt im Rückenteil der Bluse. Es ist nicht die im Grunde völlig unwahrscheinliche und wenig glaubhafte Geschichte, die verstört, es ist nur die Art ihrer Darbietung.
Von Trier will nicht durch die Story selbst, sondern durch seine Regieleistung glänzen. Zu Recht, denn da hat er wirklich was zu bieten. Aber macht das allein schon einen guten Film aus? Denn spätestens nach dem durch Himmelsglocken und Bachweisen versöhnten Ausklang frage ich mich, warum ich mir das bis nach Eins in der Nacht angetan habe. Was bleibt, außer aufgewühlt zu sein, ohne so recht wissen warum? Der Film hat keine Botschaft, er hat nicht einmal eine Aussage, er ist einfach nur L’art pour l’art.

Wenn schon Dogma, dann lieber den Film ‚Dogma‘ mit Matt Damon. Der Film hat zwar auch weder Sinn noch Aussage, doch als Parforceritt durch alle Fettnäpfe der political correctness ist er wenigstens amüsant.

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