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Johannes Gutenberg – kein leichtes Leben für den Buchdruck

Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg (André Thevet 1584)

Der Name Gutenberg ist heute untrennbar mit der Erfindung des modernen Buchdrucks verknüpft. Ob er wirklich der Titan des Buchzeitalters, der Mann des Millenniums war, dessen Ende 1962 der amerikanische Medientheoretiker Marshall McLuhan mit seinem Bestseller The Gutenberg Galaxy ankündigte, sei einmal dahingestellt. Denn erstaunlich ist es schon, wie wenig eigentlich über diesen genialen Tüftler bekannt ist, dem seine Erfindung zu Lebzeiten anscheinend weder Ruhm noch große Reichtümer eingebracht hat. Andere waren es, die davon profitiert haben. Während wir über manch anderen Drucker des 15. und 16. Jahrhunderts gut unterrichtet sind, so ist es nicht gerade viel, was an lebensgeschichtlichen Daten des Druckers Johannes Gensfleisch zur Laden genannt Gutenberg, wie sein voller Name lautete, überliefert wurde – nicht mal, wie er aussah, denn auch der nebenstehende Kupferstich gibt nur ein idealtypisches Portrait wieder. Wir kennen weder sein Geburtsjahr, noch sein genaues Todesdatum. Er war der Sohn des alteingesessenen Mainzer Bürgers Friele (Frylo) Gensfleisch zur Laden († 1419) und dessen zweiter Frau Else (Wyrich zum Gutenberg). Der Namenswechsel erfolgte, weil das Haus zum Gutenberg von der Mutter in die Ehe eingebracht worden war. Nachnamen waren damals keine festen Größen. Patrizier nannten sich nach den Häusern, die sie besaßen.

Und Johannes wurde als Patrizier geboren, wenigstens als ein halber. Denn väterlicherseits konnte er die erforderlichen vier Generationen seines Geschlechts nachweisen, galt also als Patrizier; mütterlicherseits aber nicht, wodurch ihm auch nicht alle Rechte zustanden, sodass ihm z.B. die Mitgliedschaft in der Münzerhausgenossenschaft versagt blieb. So prädestinierte schon seine Herkunft den kleinen Henne Gensfleisch zu einem Leben zwischen den Stühlen. Johannes war das jüngste der drei Kinder des Paares, wobei nicht mehr festzustellen ist, ob er im letzten Jahrzehnt des 14. oder erst Anfang des 15. Jahrhunderts geboren wurde. Der 24. Juni 1400 (Johannistag) war es jedenfalls nicht, denn der wurde erst 1900 festgesetzt, um seinen 500. Geburtstag feiern zu können.

In den Jahren 1411 und 1413 scheint der Vater, wohl zusammen mit der Familie, aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen den Zünften und den Patriziern kurzfristig die Stadt Mainz verlassen zu haben und lebte in Eltville in einem Haus aus dem Erbe von Gutenbergs Mutter. Steuerflucht wurde man es heute vielleicht nennen, denn es ging um ein neues Steueredikt, dem sich die alteingesessenen Geschlechter nicht unterwerfen wollten. Die Stadt Mainz verweigerte daraufhin die Rentenzahlungen.

Über Gutenbergs erste drei Lebensjahrzehnte ist wenig bekannt.[1] Erst nach dem Tod des Vaters 1419 wird Johannes Gutenberg zum ersten Mal namentlich erwähnt. Das Dokument aus dem Jahr 1420 behandelt einen Erbschaftsstreit zwischen der Tochter aus erster Ehe und den drei jüngeren Geschwistern. „Da Johannes hier nicht von einem Vormund vertreten wurde, lässt sich daraus seine Rechtsmündigkeit (15 Jahre und älter) ableiten.“[2] Irgendwie hat er wohl auch ohne Zunftmitgliedschaft zwischen 1421 und 1434 Kenntnisse im Goldschmiedehandwerk und im Polieren von Edelsteinen erworben, die er dann in Straßburg gegen Geld vermitteln konnte.[3]

Auf jeden Fall scheint es sich um einen selbstbewussten und auch streitbaren Zeitgenossen gehandelt zu haben. In einer Mainzer Urkunde vom 28. März 1430, bei der es um die Beilegung eines Rechtsstreits zwischen Patriziern und Zünften geht, wird erstmals ein „Henchin zu Gudenberg“ erwähnt.[4] In dieser »Rachtung« (Sühnevertrag) bot der Mainzer Erzbischof Konrad III. den Geflohenen, darunter der etwas mehr als 30jährige Gutenberg, die Rückkehr ohne Auflagen an. Was er aber wohl nicht oder zumindest für lange Zeit nicht tat, denn vom Frühjahr 1434 bis Frühjahr 1444 war er als „Johannes Gensfleisch zum Gutenberg aus Mainz“ in Straßburg ansässig, und wiederholt aktenkundig sowohl in den Listen der Patrizier als auch in denen der Goldschmiedemeister und diversen Gerichts- und Steuerakten.

Er wohnte in der Vorstadt Sankt Arbogast und betrieb dort eine Goldschmiedewerkstatt, unterstützt von seinem Fachgesellen Hanns Dünne und seinem Diener Lorentz Beildeck. 1433 starb auch Gutenbergs Mutter Else in Mainz. Ihr Nachlass wurde unter die drei Kinder Friele, Else und Henne (Johannes) Gensfleisch aufgeteilt. Da die Stadt Mainz  ihm ebenso wie anderen Steuerflüchtigen die Leibrenten gesperrt hatte, die sie ihm schuldete, ließ Gutenberg im Frühjahr darauf kurzerhand den nach Straßburg gekommenen Mainzer Stadtschreiber Nikolaus von Werstat verhaften, in Schuldhaft festsetzen und schwören, die rückständigen Renten, die inzwischen auf 310 Gulden angestiegen waren, aus eigener Tasche zu zahlen. Als daraufhin die Stadt Mainz einlenkte und am 14. März 1434 schriftlich besiegelte, ihren Verpflichtungen nachzukommen, versicherte Gutenberg, sein lebendiges Faustpfand wieder freizugeben.

Ein Vollbürger Straßburgs wurde er nie, auch wenn Gutenberg von 1439 bis 1444 als sog. „Ausbürger” oder Hintersasse in der Liste der Constofler (Constabularii) d. h. der Stadtaristokratie, welche dem Rate der Stadt zu Pferde diente, geführt wurde. Obwohl er durch Heirat beinahe doch Straßburger Bürger geworden wäre. Allerdings hat da er wohl gekniffen, denn 1436 hat ihn die Straßburger Patriziertochter Anna Ennelin zur Iserin Thüre vor dem geistlichen Gericht wegen Bruch des Eheversprechens verklagt. Der Prozess zog sich monatelang bis Mitte 1437 hin. Ein Urteil ist nicht bekannt, wohl aber, dass er während der Gerichtsverhandlung einen der Zeugen so unflätig beschimpft hat, dass es zu einem weiteren Prozess wegen Beleidigung kam, den er verlor.[5] Doch die verschmähte Anna scheint er nicht geheiratet zu haben – auch wenn der Straßburger Lokalhistoriker Johann Daniel Schöpflin, der das Urteil überlieferte, anderer Meinung war.[6] Im Frühjahr 1444 verließ Gutenberg Straßburg für immer.

Papst Pius II.

Der spätere Papst Pius II., der 1454 den Reichstag in Frankfurt besuchte, erzählt, er habe dort einen Mann gesehen, der »künstlich geschriebene Bibeln« zum Verkauf anbot. Die Schrift sei so klar gewesen, dass man keine Brille brauchte.“[7] Heute gilt  Gutenberg zwar als der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, aber streng genommen war er auch das nicht. Ganz sicher aber war er ein engagierter Start-up-Gründer der frühen Neuzeit, der mehrmals an seinen hohen Ansprüchen scheiterte, aber bis zuletzt nicht aufgab.

Obwohl wir ihn im Grunde nur aus seinen überlieferten Druckwerken und aus ein paar zeitgenössischen Berichten und diversen Gerichtsakten kennen, sollten wir diesen vom unternehmerischen Geist beflügelten Erfinder der frühen Neuzeit auch nicht kleinreden, wie es zuletzt 2001 der amerikanische Frühdruck-Experte Paul Needham in der New York Times tat, als er eine These aus dem Jahr 1913 aufwärmte, Gutenberg habe nie ein Gerät zum Gießen beweglicher Lettern erfunden, sondern seine bleiernen Matern im »Sandgussverfahren« erstellt.[8]

Lange Zeit wurde ja vom Holzstock gedruckt. Dieses Druckverfahren war ein zeitraubendes und mühsames Geschäft. Für jede neue Seite musste eine neue Druckform hergestellt werden, in der Regel ein eingeschnittener Holzblock. Abzüge vom Holzstock erhielt man im Reibedruckverfahren, bei dem die Drucke nicht mittels einer Presse, sondern durch Abreiben entstanden, das nur einseitige Abzüge gestattete, weswegen man zwei bedruckte Blätter mit den Rückseiten aneinanderklebte. Dem Holztafeldruck waren aber enge Grenzen gesetzt. Die Herstellung der Holzplatte war umständlich, es gab keine Möglichkeit von Korrekturen und man konnte solche Platten auch nur begrenzt aufbewahren, weil sie sich ja veränderten. Holz »arbeitet« eben.

Auch konnte man mit diesem Verfahren nie die Gleichmäßigkeit und Schönheit einer Handschrift, erst recht nicht einer illuminierten, erreichen. Der Inhalt der zu Buchform zusammengehefteten Blätter war meist religiöser Art, wie etwa die Armenbibel (Biblia pauperum) oder das Hohelied (Canticum canticorum). In Blockbuchform haben sich 31 Werke in über 100 Ausgaben erhalten. Eine Biblia Pauperum ist allerdings weder eine vollständige Bibel noch ein Buch für Arme, wie der Titel vermuten lässt. Sie ist ein mittelalterliches Bilderbuch, das Szenen aus dem Alten und Neuen Testament miteinander verbindet, um zu zeigen, dass Ereignisse in der Vergangenheit göttlich gewollt waren, um die Zukunft vorauszuahnen. So ein Blockbuch wurde in seiner Gesamtheit – Text und Bilder – vom Holzschnitt gedruckt.

Die aufwendig illuminierte Bamberger Armenbibel (Biblia Pauperum), 1425. (Codex Palatinus latinus 871 der Biblioteca Apostolica Vaticana)

Dagegen bediente sich Gutenberg eines metalltechnischen Buchdruckverfahren, das er selbst allerdings streng genommen gar nicht erfunden hat. Denn der Druck mit beweglichen Lettern war in China schon Jahrhunderte vorher bekannt, und erfunden hatte ihn um das Jahr 1041 ein Chinese namens Bi Sheng. Zuvor hatte man auch dort mittels Holztafeln gedruckt. Bereits 932 n. Chr. verwendeten chinesische Drucker regelmäßig geschnitzte Holzblöcke, um Schriftrollen zu drucken. Doch diese Holzblöcke nutzten sich schnell ab, und für jedes Zeichen, Wort oder Bild musste ein neuer Block geschnitzt werden. Die von Bi Sheng neu entwickelten Zeichenstempel waren zwar noch aus Steingut, doch bereits im 13. Jahrhundert stellte man in China auch Lettern aus Metall her, die sich aber gegen den traditionellen Holzschnitt nicht durchsetzen konnten.

Johannes Gutenberg hatte viele Talente, der Umgang mit Geld gehörte leider nicht dazu. Kam er zu Geld, gab er es mit vollen Händen aus und musste sich nach kurzer Zeit wieder etwas leihen. So hatte er 1439 in seiner Straßburger Zeit laut der erhobenen Weinsteuer sage und schreibe 1924 Liter Wein (1 ½ Fuder und 6 Ohm) in seinem Keller gehortet, lieh sich aber bereits am 17. November 1442 Geld beim Thomas-Stift[8a], da er einen Prozess vor dem Stadtgericht verloren hatte. Die Straßburger Brüder Jörg und Claus Dritzehn hatten ihn verklagt. In den Gerichtsakten sind immerhin noch Protokolle von 15  Zeugenvernehmungen (insgesamt traten 33 Zeugen auf!) erhalten gebliebenen. Gutenberg hatte seinen ehemaligen Lehrling Andreas Dritzehn, den Lichtenauer Vogt Hans Riffe und den Straßburger Bürger Andreas Heilmann im März 1438 gegen eine Einlage von je 80 Gulden in eine von ihm neu gegründete und geleitete Genossenschaft aufgenommen. Sie hatten einen Vertrag geschlossen zur effizienteren Herstellung sog. Wallfahrtsspiegel in großer Stückzahl. Dabei handelt es sich um geprägte Metallrahmen, in die ein kleiner Spiegel eingelassen wurde. Die Spiegel sollten während der Aachener Heiltumsfahrt, einer Wallfahrt, die noch heute alle 7 Jahre stattfindet, verkauft werden. Man glaubte damals, mithilfe solcher Spiegel die segenspendende Kraft der gezeigten Reliquien einfangen und mitnehmen zu können. Da sich in Reliquienhochburgen wie Aachen zu solchen Anlässen enorme Pilgerscharen einfanden, zeigte man die Reliquien nur noch aus der Distanz, z. B. vom Balkon der Kirche aus. Mit hochgereckten Armen hielten die Gläubigen ihnen damals die blitzenden Spiegel entgegen wie heute Smartphones auf einem Popkonzert.[9] Doch die Genossenschaftler hatten nicht mit einem lokalen Pestausbruch gerechnet. Die Wallfahrt fand deshalb 1439 nicht wie erwartet statt. Aus dem Geschäft wurde also erstmal nichts. Doch da Gutenberg auf seine Investoren nicht verzichten wollte, willigten die drei in einem neuen Vertrag ein, von ihm 5 Jahre lang in eine streng geheim gehaltene Kunst, die anscheinend in ersten Druckversuchen bestand, eingeführt zu werden.[10] Aus dem erhaltenen Urteil und den Zeugenprotokollen geht hervor,

  • dass wiederholt Blei angekauft und gegossene „Formen“ und „Zeug“ hergestellt wurden;
  • dass der Drechsler Conrad Saspach für Gutenberg eine Presse mit Geheimteilen baute, die von Dritzehn, in dessen Haus sie stand, bedient wurde,
  • dass Gutenberg am Weihnachtstag 1438 bei Dritzehn und bei Heilmann „Formen“ abholen ließ, die er einschmolz, und
  • dass der Goldschmiedegeselle Hanns Dünne unter Zeugeneid erklärte, von Gutenberg seit 3 Jahren 100 Gulden Lohn erhalten zu haben, „alleine für das, was zum Drucken gehört“:

„Item Hanns Dünne der‘ goldsmyt hat geseit, das er, vor dryen joren oder dobij Gutenberg bij den hundert guldin abe verdienet habe, alleine das zu dem trucken gehöret.“

Andreas Dritzehn starb aber schon kurze Zeit später, zu Weihnachten 1438. Im Vertrag, der zwar nicht als besiegelte Urkunde vorlag, wohl aber schriftlich in seinem Nachlass gefunden wurde, war festgelegt, dass bei Ableben eines Teilhabers die Erben nach Ablauf des Vertrages 100 Gulden erhalten, alle Geräte und Produkte aber im Besitz der anderen Teilhaber verbleiben sollten. Andreas Dritzehn hatte nach Aussage einer Zeugin 500 Gulden in Gutenbergs Unternehmen investiert. Deshalb verlangten nun seine Brüder, selbst in das gewinnversprechende Geschäft als Teilhaber aufgenommen zu werden. Da das Gericht aber Gutenbergs Versicherung glaubte, die Einlage sei nur zum Teil bezahlt worden, wurde er bloß zu einer Abfindung in Höhe von 15 Gulden verdonnert.  Doch Material, Formen und seine Druckerpresse behielten die Prozessgegner.

Mittellos, auf jeden Fall ohne verpfändbares Eigentum, kehrte er nach Mainz zurück. Seine Rückkehr auf den geerbten Hof zum Gutenberg im Alter von etwa 50 Jahren wird am 17. Oktober 1448 urkundlich bezeugt, weil er sich an diesem Tag ein Darlehen von 150 Gulden gegen Zinsen auslieh, für die sein Verwandter Arnolt Gelthus zum Echtzeler mit den Einkünften mehrerer Häuser bürgte.[11] Zur Fortführung der Straßburger Druckversuche reichte diesr Betrag allerdings keineswegs  aus. Und so musste er sich von dem wohlhabenden Ratsmitglied Johannes Fust 800 Gulden leihen. Doch geht aus einem Dokument, dem sog. Helmaspergerschen Notariatsinstrument hervor, dass Gutenbergs Unternehmung viel kostspieliger geplant war und Gewinn abwerfen sollte.[12] Diese Urkunde, selbst nur Teil einer umfangreicheren Gerichtsakte, betrifft die Klage des Mainzer Patriziers Fust im Jahre 1455 gegen Johannes Gutenberg. Das Aktenstück befindet sich heute in der Göttinger Universitätsbibliothek. Es enthält nicht nur den ersten Klagepunkt des Johannes Fust und das Urteil des Mainzer Gerichts dazu, sondern beweist auch, dass Gutenberg sich mindestens seit 1450 mit Arbeiten zum Druck von Büchern beschäftigte.

Helmaspergersches Notariatsinstrument – Handschrift 2° Cod. Ms. hist. lit. 123 Cim., Universitätsbibliothek Göttingen

Das Helmaspergersche Notariatsinstrument ist die notarielle Bezeugung eines Eides, den Fust am 6. November 1455 im Barfüßerkloster zu Mainz vor dem Kleriker und Notar Ulrich Helmasperger ablegte, um nachzuweisen, dass er einen ersten Gutenberg geliehenen Betrag von 800 Gulden selbst gegen Zinsen geborgt und Gutenberg gegeben habe, damit „mit solichem Gelte er sin geczuge zurichten und machen sollte“. Mit diesem Geld sollte Gutenberg also den Druckapparat einrichten, der bis zur Rückzahlung des Geldes das Pfand für Fust darstellte. Gutenberg hatte sich schriftlich verpflichtet, 6% Zinsen (jährlich 48 Gulden) zu zahlen, wovon Fust ihn aber mündlich entband. Er bekam dann 1452 von Fust nochmal weitere 800 Gulden, um „das Werck der Bucher“ — den Druck der 42zeiligen Bibel — zu ermöglichen. Fust verlangte also vor Gericht die zweimal 800 Gulden samt Zinsen, insgesamt 2020 Gulden. Das war eine ungeheure Summe, denn für 800 Gulden konnte man 200 Rinder oder 35-40 Pferde kaufen. Gutenberg argumentierte vor Gericht, dass Fust seiner Verpflichtung, jährlich 300 Gulden für Gehilfenlohn, Miete, Pergament, Papier und Tinte zu geben, nicht regelmäßig nachgekommen sei. Auch die sechsprozentige Verzinsung habe Fust ihm erlassen.

Nachbildung des Gutenbergschen Handgießinstruments

Gutenberg Erfindung war weder die mechanische Druckerpresse noch der Druck mit beweglichen Lettern. Seine Leistung waren Buchstaben, die die Schreibschrift und Ornamentik der damals vertrauten handschriftlichen Buchgestaltung nachbildeten. Um den Eindruck einer Handschrift so getreu wie nur möglich nachzuahmen, fertigte Gutenberg nämlich für jeden Buchstaben mehrere Varianten und eine Vielzahl von Ligaturen an. Dazu hatte er ein spezielles Handgießverfahren entwickelt, wodurch es möglich wurde, Buchstaben aus Blei oder einer Bleilegierung aus einer Matrize aus härterem Material (Kupfer etc.) zu gießen.

Und genau das bezweifelten 2001 der Bibliothekar Paul Needham und der junger Physiker Blaise Agüera y Arcas von der Uni Princeton. In der Gutenberg-Bibel der Bibliothek Scheide von 1455, in einem Ablassbrief, der von Gutenberg etwa zur gleichen Zeit gedruckt wurde, sowie in anderen Drucken vor 1465 fanden sie mit Hilfe digitaler Bildverarbeitung und Computeranalyse Abweichungen von Buchstabe zu Buchstabe, die mit dieser Art von Massenproduktion eigentlich unvereinbar wären.[13] Daraus schlossen sie, in Wirklichkeit habe Gutenberg für seine Lettern eine frühere Technologie verwendet, bei der Buchstaben in Sandformen gegossen wurden[14], was die Kunsthistorikerin Hanebutt-Benz für abwegig hält, da man auf diese Weise niemals die typographische Eleganz der Gutenbergbibel hätte erreichen können. Und die hatte es in sich! Denn der Teufel steckt hier wirklich im formvollendeten Detail.

Zusätzlich zu den etwa 2900 verschiedenen Abkürzungen und Ligaturen verwendete Gutenberg Kleinbuchstaben mit variabler Breite sowie spezielle Verbindungsglyphen, die je nach Kontext verwendet werden können und so zu einer gleichmäßigen Zeilenbildung beitragen. Bei den Verbindungsglyphen handelt es sich um Buchstaben, bei denen die Serifen angepasst oder entfernt wurden, damit sie näher an die angrenzenden Zeichen heranrücken können und den Leerraum innerhalb eines Wortes nicht stören. Insgesamt wurden in der 42-zeiligen Gutenberg-Bibel rund 290 verschiedene Glyphen verwendet.[14a] Vor allem bei der Textura, der schmalen schwarzen Schrift, die Gutenberg für seine Bibel verwendete, war der Einsatz von Ligaturen geradezu notwendig, um eine gleichmäßige Komposition zu erreichen. Die ähnlich geformten Buchstaben der Textura bilden eine ornamentale, ineinander verschlungene Struktur, die jede Anomalie oder jeden Störfaktor zu eliminieren scheint.

Gutenberg übernahm sogar die Silbentrennung, wie sie in der Kalligraphie verwendet wurde, und integrierte sie in seine neue Drucktechnik. Obwohl es eine technische Herausforderung gewesen sein muss, hingen Bindestriche und andere Satzzeichen leicht über den Spaltenrand hinaus, so dass auch dort keine unerwünschten Lücken blieben. Ein Verfahren, dass unter dem Namen »optischer Randausgleich« Eingang in jede moderne Textverarbeitung gefunden hat.

Auch wenn sich ein paar Einzelblätter auf Pergament erhalten haben, so sind doch alle vollständig erhaltenen Exemplare auf Papier gedruckt. Anhand der Wasserzeichen lassen sich zehn verschiedene Papiersorten unterscheiden. Die Papierbögen seines opus magnum, der B 42, haben sich, wie man an den erhaltenen Exemplaren sehen kann, über mehr als ein halbes Jahrtausend in ihrer Struktur, ihrer Festigkeit und ihrer Farbe so gut wie nicht verändert. Das war damals keineswegs selbstverständlich. Bei Papieren des 15. Jahrhunderts sind Fehler oder Nachlässigkeiten in der Herstellung keineswegs selten. Im Winter war das Wasser häufig nicht so klar wie in den anderen Jahreszeiten, und die enthaltenen Verunreinigungen schlugen sich im Farbton des Papiers nieder. Die für die Bibel verwendeten Sorten ähneln sich außerordentlich in Stärke und Färbung. Inwieweit Engpässe oder Schwierigkeiten in der Belieferung eine Rolle gespielt haben können, muss dahingestellt bleiben. Die Wasserzeichen, die in den Bögen der 42-zeiligen Bibel zu finden sind, konnten dazu beitragen, die Herkunft dieser exzellenten Papiere zu bestimmen. Die Wasserzeichen Ochsenkopf, Weintraube, zwei Weinstöcke und laufender Stier ließen sich Papiermühlen in Italien zuordnen. Das bedeutet, obwohl im deutschen Reichsgebiet seit einigen Jahrzehnten Papier hergestellt wurde – die Gleismühle von Ulman Stromer in Ravensburg ist bereits für 1390 nachgewiesen – wandte sich Gutenberg nach Italien, um über die Alpen hinweg Material zu beschaffen, das allerhöchsten Ansprüchen genügen konnte.

Der Import des qualitativ so hochwertigen Papiers zeigt in jedem Fall, welcher Wert in Gutenbergs Konzeption für das Bibelprojekt auf eine optimale Ausstattung gelegt wurde. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass der Transport der eindrucksvollen Menge an Papierbögen vermutlich in Fässern vor sich ging. Bereits für 150 Druckexemplare wurde eine Papiermenge von etwa 51.000 Bogen gebraucht.[20] Schließlich hatte diese Bibel fast 1300 Seiten. Das italienische Papier, aus Lumpen hergestellt, muss allein ein Vermögen gekostet haben.

Das Neue bei Gutenberg war, dass er Buchstaben zu Kolumnen zusammensetzte, woraus sich die Form und Größe der Lettern ergaben: rechtwinklig, gut handhabbar in Stäbchenform mit erhabenem, spiegelverkehrtem Schriftbild. Man gießt das Schriftmetall, eine Bleilegierung, in eine Gussform. Es galt, technische Hindernisse zu überwinden, etwa durch die Entdeckung einer Legierung, die bei niedrigen Temperaturen schmilzt, so dass sie in Buchstabenformen gegossen werden kann. Die entstehenden Buchstaben sehen alle gleich aus, weil sie alle aus der gleichen Form stammen, der gleichen Matrize und schließlich aus demselben Stempel. Dann hätte Needham mit seiner Vermutung ja vielleicht sogar recht. Genau da widerspricht der Schrifthistoriker Fritz Funke, denn so weit standardisiert war das von Gutenberg entwickelte Handgussverfahren denn doch nicht. Entnimmt man die Letter aus dem Handgießinstrument, hat sie am oberen Ende noch einen sogenannten Angusszapfen aus überschüssigem Metall. Dieser Teil wird an der dafür vorgesehenen »Sollbruchstelle« abgeschlagen. Anschließend wird die Letter sorgfältig auf die richtige Höhe geschliffen, damit alle Lettern am Ende gleich hoch sind. Auch die Dicke der auf diese Weise gegossenen Buchstaben war leicht unterschiedlich, und musste ebenfalls durch Abfeilen und Abhobeln angeglichen werden.[15] Erst dieser »Feinschliff« sorgte für einen gleichmäßig gedruckten Text und machte das Schriftbild seiner Drucke fließend und einzigartig, auch wenn es nicht unbedingt die Lesbarkeit erhöhte. Vorausgesetzt, man verfügte über eine Tinte, die den Abdruck vom Metall auf das Papier klar und deutlich überträgt. Und dann stellte sich natürlich noch die Frage, mit welcher Kraft sollten diese Abdrucke erzeugt werden? Gutenberg kam auf die Idee, eine Weinpresse für seine Zwecke zu adaptieren. Der Aufwand hatte seinen Preis. 1452 sprang Fust deshalb mit einem zweiten Darlehen ebenfalls in Höhe von 800 Gulden ein, um das gemeinsame „Werck der Bucher“ verwirklichen zu können. Doch schließlich endete auch diese Finanzierungsgesellschaft vor Gericht.

Denn Gutenberg hatte sich mal wieder übernommen. Mangels finanzieller Ressourcen musste er jeden Auftrag annehmen, den er kriegen konnte, manches vielleicht auch, wie man heute sagen würde, als Subunternehmer. Gutenberg druckte – selbständig oder für andere – Blätter mit frommen Gebeten, Kalender, Umschläge von Gebetbüchern. Auch für Fust und seinen früheren Gesellen Petrus Schöffer scheint er gedruckt zu haben. Das meiste davon in minderer Qualität, da er aus Geldnot abgenutzte Drucklettern weiterverwendete. 1454/55 spülte dann endlich ein Großauftrag mit mehrere Tausend Ablassbriefen, die Gutenberg 1454/55 im Auftrag des Priors von St.-Jacob in Mainz gedruckt hat, etwas Geld in die Kasse. So ein Ablassbrief hatte nur 30 Zeilen und passte auf ein Blatt. Der Prior, der mit Gutenberg bekannt war, scheint dazu vom päpstlichen Gesandten Nikolaus von Kues ermächtigt worden zu sein, auch wenn es keinerlei Belege dafür gibt, dass sich Cusanus und Gutenberg jemals begegnet sind.[16]

Der gewiefte Geschäftsmann Fust nutzte die Chance, die ihm die Mittelknappheit Gutenbergs bot. Er verklagte ihn im November 1455 und warf ihm vor, die Gelder, die ausschließlich für den Druck der Bibel bestimmt waren, für andere Druckvorhaben zweckentfremdet zu haben. Für Gutenberg ging das Ganze fatal aus. Der Drucker (und Goldschmied) Schöffer, sein Meisterschüler, der seine Technik verbessert hatte, musste wohl aus dem Nähkästchen geplaudert haben und trat als Fusts Zeuge vor Gericht auf. Wenig später wurde er dessen Schwiegersohn. Gutenberg verlor den Prozess und musste seine Werkstatt und den kompletten Lagerbestand der Bibeln an Fust abtreten.[17] Auch wenn die Berechnungen für den mutmaßlichen Preis der Bibeln stark schwanken, so konnte man sicher sein: Die Herstellung der B 42 war ein gutes Geschäft, das einen erheblichen Reingewinn erbrachte (nach vorsichtiger Berechnung 4000 bis 6000 Gulden!). Fusts Klage gegen Gutenberg hatte also wahrscheinlich verhindert, dass Gutenberg, sobald der Erlös verfügbar war, ihn auszahlte und sich damit unabhängig machte.[18] Oder Gutenberg hatte seine Gewinne bereits reinvestiert. Vielleicht haben wir es aber auch mit zwei gerissenen Geschäftsleuten zu tun, von denen sich eben nur einer vor Gericht durchsetzen konnte. Entscheiden lassen sich solche Fragen angesichts der spärlichen Informationen nicht.

Faktisch jedenfalls war Fust nicht nur Gutenberg losgeworden, er verfügte nun über eine voll ausgestattete Werkstatt und das Knowhow zur weiteren Buchproduktion. So fiel ihm die Entscheidung wohl nicht schwer, selbst ins Druckgeschäft einzusteigen. Und mit Schöffers Hilfe führte er die Offizin mit Erfolg weiter, während Gutenberg in sein Geburtshaus, den Gutenberghof zurückkehrte, um dort mit finanzieller Unterstützung eines Mäzens, des Mainzer Stadtsyndikus Konrad Humery, eine neue, weit bescheidenere Druckwerkstatt zu eröffnen.

42zeilige Gutenbeg-Bibel (ca. 1456)

Das vollkommenste Werk Gutenbergs war die 42zeilige Bibel, und sie war auch im Gegensatz zu früheren Annahmen, älter als die 36zeilige Bibel, die etwa 1457/58 entstand. Zwar ist die B 36 weniger gut gesetzt und gedruckt als die B 42, es besteht aber dennoch kein Zweifel, dass sie später entstand. Darüber sind sich de Frühdruckforscher nzwischen einig, und auch dass sie wohl in Bamberg gedruckt worden sein muss. Dafür sprechen die Wasserzeichen, die in anderen Bamberger Büchern, aber nicht in Mainzer Werken nachgewiesen werden können, und weiterhin die Einbände der erhaltenen Exemplare und ihre ursprünglichen Besitzer.[19]

Fragment der B36. Bamberg, um 1459/1461 (Staatsbibliothek Bamberg, Inc.typ.A.VIII.9(2, Bl. 1r

Der fertige Druck der 42zeiligen Bibel diente der B 36 zweifellos als Vorlage, denn man ahmte nicht nur den zweispaltigen Satz dieser Druckausgabe nach, sondern übernahm auch gewisse Fehler und Besonderheiten im Text. In der verwendeten großen Donat- und Kalendertype brachte man auf einer Seite nur 36 Zeilen unter und benötigte 884 Folioblätter, während es für die 42zeilige Bibel nur 643 Folioblätter waren. Allerdings lässt ich nicht mehr feststellen, inwieweit Gutenberg selbst bei diesem Druck mitwirkte oder ob er überhaupt daran beteiligt war. Die genaue Anzahl der gedruckten Exemplare ist unbekannt.

Die 42zeilige Bibel muss zum Zeitpunkt von Fusts Eidleistung am 6. November 1455 bereits gedruckt gewesen sein. Zumindest muss sie vor August 1456 beendet gewesen sein, da zu dieser Zeit ein Rubrikationsvermerk nachgewiesen werden konnte: die ersten 9 Blätter und die Blätter 129-132 sind in 40 Zeilen gesetzt, Blatt 10 in 41, alle anderen in 42 Zeilen, alles gesetzt in einer Missaltype[21] mit insgesamt 2900 Varianten mit Ligaturen, Abbreviaturen etc..

Das bestätigt auch die Kölner Chronik vom Jahre 1499. Hier berichtet der Chronist, dass der Kölner Drucker Ulrich Zell über die Erfindung der Druckkunst folgendes aussagte: Man habe 1450 zu drucken begonnen, und das erste gedruckte Buch sei eine lateinische Bibel gewesen, gedruckt in Missalschrift. Da von den beiden Mainzer Bibeln die 36zeilige erst nach 1455 entstand, muss in der Kölner Chronik die 42zeilige Bibel gemeint sein. Man nimmt an, dass 30 Pergamentexemplare gedruckt wurden. Das ist schon eine Menge angesichts der Tatsache, dass man für jedes Pergamentexemplar die Haut von 170 Kälbern brauchte. Die Anzahl der Papierexemplare wird auf 150-240 geschätzt. Dafür brauchte man immerhin ca. zwei Jahre auf sechs gleichzeitig laufenden Druckerpressen. Aber alles natürlich nur zu horrenden Preisen, entsprechend rar und kostbar waren solche Exemplare. Deshalb ließ man sie nur ungern aus den Augen und kettete sie für die öffentlichen Gebrauch, etwa in Klöstern, sogar an:

 

Bücherregal mit Ketten und Kettenbüchern

Da Gutenberg 1452 mit dem Satz begann, ist von einer Fertigstellung im Jahr 1454 auszugehen. Das deckt sich mit dem Vermerk des Vikars vom Mainzer Stephans-Stift in einem Exemplar der 42zeiligen Bibel , wo für den Abschluss des Rubrizierens, Illuminierens und Einbindens (was sicher Monate in Anspruch nahm) der August 1456 angegeben wird. Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., der 1454 den Reichstag in Frankfurt besuchte, berichtet in einem Brief an den spanischen Kardinal Juan de Carvajal vom 12. 3. 1455, dort habe ein „vir mirabilis“ „künstlich geschriebene Bibeln“ zum Verkauf angeboten, die auch der Kaiser zu Gesicht bekommen habe. „Ich habe keine vollständige Bibel gesehen, aber eine Anzahl fünfseitiger Büchlein [Druckbogen] einiger Bücher der Bibel, in sehr klaren und sehr sauberen Lettern, die Eure Eminenz mühelos ohne Augengläser lesen könnte. Mir wurde mehrfach bezeugt, dass 158 Exemplare fertig gestellt seien, während andere von 180 sprachen.“[22] Er lobt die Schönheit der Schrift und schreibt, er hätte dem Kardinal eine solche Bibel gekauft, wenn er gewusst hätte, dass diesem daran gelegen gewesen sei. Zugleich ließ er aber durchblicken, dass anscheinend schon die ganze Auflage Käufer gefunden habe. B42, die 42zeilige Bibel, wurde also wohl schon 1454, ein Jahr vor dem Helmaspergerschen Notariatsinstrument, zum Verkauf angeboten.[23]

Erhalten geblieben sind von diesem Bibeldruck bis heute 46 Exemplare, davon 40 in öffentlichen Sammlungen und 6 in Privatbesitz. Von den 12 Pergamentexemplaren sind nur 4 vollständig: in der Universitätsbibliothek Göttingen, im Britischen Museum London, in der Nationalbibliothek Paris und in der Washingtoner Kongressbibliothek.

Von den 34 Papierexemplaren sind 16 vollständig und befinden sich in Burgos (Provinzbibliothek); Cambridge Universitätsbibliothek), Edinburgh (Nationalbibliothek), Eton (College Bibliothek), Frankfurt a. M. (Stadtbibliothek), Leipzig (Universitätsbibliothek), Lissabon (Nationalbibliothek); London (Britisches Museum) Manchester (John Rylands Library), München (Bayrische Staatsbibliothek), New Haven (Bibliothek der Yale Universität), New York (Pierpont Morgan Library), New York (Privatbibliothek von Pforzheimer), Oxford (Bodleian Library), Paris (Bibliothek Mazarin) und in Wien (Nationalbibliothek).[24]

Gutenberg-Bibel Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

Zu Recht zählen diese Prachtexemplare heute zu den teuersten Büchern der Welt. Ein kulturelles Erbe, das auch dadurch nicht marginalisiert werden kann, wenn gelegentlich ein Experte dem Genius Gutenberg seine Verdienste absprechen möchte. Seine Erfindung hat Gutenberg überdauert, denn nicht nur typographisch gilt sie bis heute als Goldstandard, auch der von ihr überlieferte Vulgata-Text blieb bis zur Reformationszeit die verlässliche Standard-Ausgabe, die auch Luther seiner Bibelübersetzung zugrunde legte.

Anfang des 15. Jahrhunderts umfassten selbst »große« Bibliotheken schwerlich wenige hundert Bände, wenn überhaupt. Gleichzeitig erlebte Mitteleuropa eine Blüte der Wissenschaft mit zahlreichen Universitätsneugründungen. Es war die Zeit des Humanismus. Doch auch noch im Dezember 1518, als der Dichter Ulrich von Hutten an Willibald Pirckheimer in Nürnberg schrieb: „Oh Jahrhundert! oh Wissenschaften: Es ist eine Lust zu leben“, teilten nicht alle seine Euphorie. Studenten mussten weiter mit Kettenbüchern Vorlieb nehmen und selbst ihre Lehrbücher erst eigenhändig abschreiben.

Die bisherigen Methoden der Buchproduktion konnten den steigenden Bedarf nicht mehr decken. Es galt, neue Wege einzuschlagen. Eine Zeit, wie geschaffen für wagemutige Tüftler wie Gutenberg, der selbstbewusst und risikofreudig, doch weder Gelehrter noch Handwerker war. Was aus heutiger Sicht selbstverständlich und banal erscheinen mag, Texte und Wörter in kleinste Einheiten zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen, revolutionierte damals die Reproduktion von Texten. Denn sie wurden entweder fortlaufend abgeschrieben oder für den Druck in Holz geschnitten. Was Gutenberg stattdessen anbot, waren nicht einfach nur handgegossene Lettern, auch nicht bloß eine mechanische Presse, sondern es war die Zusammenfassung aller benötigten Komponenten in einem industriellen Arbeitsablauf inklusive Finanzierungskonzept, Materialbeschaffung und Vertriebssystem.

Rechnet man die Vielzahl an Feiertagen damals ab, so verblieben etwa 200 Werktage pro Jahr. Ein geübter Schreiber benötigte mindestens drei Jahre für eine einzige Bibelhandschrift. Drei Jahre! Im System Gutenbergs reduzierte sich der Druck der immerhin 1282 Seiten auf 2 ½  Jahre – aber für eine Gesamtauflage von 180 Exemplaren! Eine enorme Produktionssteigerung, und das angesichts der Tatsache, dass es ja auch um die Ästhetik ging, also um eine möglichst gelungene optische Kopie einer Handschrift ging. Denn der Buchmarkt jener Jahre war zu Gutenbergs Zeit weitgehend ein Handschriftenmarkt.

Doch war die Popularisierung der Bibel wirklich das Ziel der Gutenberg-Drucke? Ging es ihm mit der Schaffung eines der immerhin teuersten Bücher seiner Zeit um die Massenproduktion? Oder gehört die auf mechanischem Wege hergestellte B 42 nicht vielmehr in die Reihe der an Dombibliotheken und Bischofssitze gerichteten Handschriften der Bibel, die seit dem frühen 14. Jahrhundert stark verbreitet waren? Denn gerade sein perfektionistisches Bestreben, die Kunst der klösterlichen Schreiber mit mechanischen Mitteln so getreu wie möglich nachzubilden, erwies sich schon bald als Sackgasse, weil der Weg zu erschwinglichen Büchern in hoher Stückzahl über die Entwicklung einfacherer und besser lesbarer Schrifttypen führte, auch wenn damit Qualitätseinbußen einhergingen. Nur 11 Jahre nach Erscheinen der Gutenbergschen Prachtbibel druckte der Straßburger Buchdrucker Johannes Mentelin (ca. 1410-1478) 1466 erstmals eine deutschsprachige Bibel (die »Mentelin-Bibel«), nachdem er 1460 bereits ein lateinische herausgebracht hatte. Die von ihm verwendete kleinere Schrifttype schaffte 61 Zeilen in zwei Spalten, sodass erheblich weniger Papier benötigt wurde. Der Text war allerdings noch meilenweit von der Luther-Übersetzung entfernt, da sich Mentelin hier auf eine durchaus elegante, aber sprachlich schwierige Übersetzung der Vulgata stützte, die im Nürnberg des 15. Jahrhunderts kursierte, und damit vielleicht sogar Anleihen bei einer Prachhandschrift, der sog. Wenzelsbibel, gemacht hatte, die an mehr als 3000 Stellen von der Vulgata abwich. Doch weder die geringere Druckqualität noch der altertümlich verschwurbelte Text schreckte anscheinend solvente Käufer davon ab, sich dieses immer noch sehr teure Buch zum Preis von 12 Gulden (dem Wert von 4 Ochsen) zuzulegen. Seine bis zur Reformation noch 13mal von ihm und Anderen nachgedruckte Bibel und weitere  erfolgreiche Drucke machten Mentelin zu einem wohlhabenden Mann. Das vermochte auch Luther nicht ungeschehen zu machen, der Mentelins Konkurrenzprodukt als ziemlich holprige und verfälschende „Wort-für-Wort“-Übersetzung (verbum e verbo) denunzierte. Ebenso wie Mentelin erging es vielen italienischen Druckern jener Zeit, allen voran dem Typographen Aldus Manutius (1449-1515), der der Schriftgestaltung im Buchdruck entscheidende Impulse gab.

Ein wirtschaftlicher Erfolg, der Gutenberg versagt blieb. Und in unruhigen Zeiten war eben nichts sicher. Gutenberg entging zwar Mordnacht des 28. Oktobers 1462, als der Kurfürst Adolf II. von Nassau mit Tausenden von Söldnern die Stadt Mainz überfiel und ein Blutbad unter der Bevölkerung anrichtete. Doch nach der Eroberung konfiszierte der Kurfürst und zugleich neue Erzbischof von Mainz etliche Ländereien, auch den Hof zum Gutenberg. Nur einen Tag später wurden 800 Mainzer aus der Stadt verjagt, unter ihnen auch Gutenberg. Doch nicht einmal 2 ½  Jahre später, am 14. Januar 1465 ernannte derselbe Erzbischof Adolf den nach Mainz zurückgekehrten Gutenberg zu seinem Hofmann, versprach ihm, die Hofkleidung und die Leibesnahrung (jährlich 20 Malter Korn [2180 Liter] und 2 Fuder Wein [2000 Liter]) kostenfrei nach Mainz zu liefern, und befreite ihn von Diensten und Abgaben, die die anderen Bewohner dieser Stadt zu leisten hatten. So konnte der betagte Gutenberg den Rest seines Lebens sorgenfrei in seiner Vaterstadt verbringen, wo er vier Jahre später im Alter von etwa 70 Jahren starb.

Im Jahr 1913 fand der nassauische „Archivar a.D.“ Ferdinand Wilhelm Emil Roth[25] am Ende eines Beichtbuches des Antonius von Florenz aus dem „Privatbesitz einer Rheingauer Familie”, gedruckt ohne Jahresangabe („um 1475“) mit Druckvermerk von Petrus Schòffer aus Mainz, die folgende gedruckte Eintragung:

“Anno Domini MCCCCLXVIII uff sant blasius tag starp der ersam meinster Henne Ginssfleiß dem got gnade“.[26]

Der ehrsame Meister Johannes Gensfleisch starb also am 3. Februar 1468. So steht es zumindest hier und so kann man es noch heute vielfach in der Sekundärliteratur lesen. Nur war der – wie er sich selbst nannte – „historische Schriftsteller“ Roth, wie man spätestens seit 2015 weiß, kein besonders glaubwürdiger Historiker. Der vielschreibende Autodidakt brachte es bis zu seinem Tod 1924 auf über 500 Publikationen, doch die Anerkennung durch die Historikerzunft blieb ihm weitgehend versagt. Er hatte ja nicht einmal eine akademische Ausbildung vorzuweisen. Zudem hat sich inzwischen auch herausgestellt, dass er fehlende Quellen gelegentlich einfach erfand – was lange Zeit unbemerkt blieb, da er sie meistens beiläufig zwischen nachprüfbaren Fakten versteckte.[27] Nicht zuletzt deshalb begegnet man heute seinem beachtlichen Werk und seinem Spürsinn kaum wohlwollender als zu seinen Lebzeiten. Im Allgemeinen wird heute der wissenschaftliche Wert seiner Studien eher als gering eingeschätzt.[28]

Das Sterbejahr 1468, habe, so insinuierte Roth, der Landkapitelsdekan des Mainzer Stiftes von Sankt Viktor, Leonhard Mengois (Roth schrieb falsch: „Mengoss“) in die Chronik der Bruderschaft des Viktorstifts eingetragen.[29] Gutenberg war mindestens seit 1457 bis zu seinem Tode Mitglied der Bruderschaft.[30] Sein Ableben wurde deshalb im Liber fraternitatis  der Bruderschaft vermerkt – allerdings wie üblich ohne genaue Datumsangabe.[31]

aus: Gebrauchsgraphik. International Advertising Art. Bd. 17, 6 (1940), S. 31

In einem 1499 gedruckten Buch findet sich die Inschrift eines Grabsteins, den ein anderer von Gutenbergs Verwandten, Adam Gelthus, kurz nach dessen Tod gestiftet haben soll. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich aber um eine seinerzeit übliche Tafel (Holz oder Pergament), die man am Grab des Verstorbenen befestigte. Das Epitaph lautet:

In foelicem artis impressorie inventorem D[eo] O[ptimo] M[aximo S[acrum] Joanni Genßfleisch artis impressorie repertori de omni natione et lingua optime merito in nominis sui memoriam immortalem Adam Gelthus posuit. Ossa eius in ecclesia diui Francisci Maguntina foeliciter cubant.[33]

In deutscher Übersetzung:

Auf den glücklichen Erfinder der Buchdruckerkunst,
Gott, dem Besten und Größten geweiht Johannes Gensfleisch,

dem Erfinder der Buchdruckerkunst,
der sich um jede Nation und jede Sprache das höchste Verdienst erwarb,
errichtete dies zur unsterblichen Erinnerung an seinen Namen Adam Gelthus.
Seine Gebeine ruhen in seligem Frieden
in der Kirche des Heiligen Franziskus zu Mainz.

Diese Mitteilung wird 1470 durch eine Randglosse des Frankfurter Patriziers Johann Ernst von Glauburg (1681-1733) in seiner handschriftlichen Chronik der Stadt Mainz bestätigt:

„Henchin zum Gutenberg aus der Familie Gensfleisch, jener erste und wahre Erfinder der Buchdruckerkunst, wurde bei seinen Vorfahren in der Kirche des W. Franziskus in Mainz begraben, und dort wurde das Wappen seines Geschlechtes aufgehängt.“[33]

Für die Authentizität der Angabe des umtriebigen Historikers Roths zum genauen Todesdatum Gutenbergs könnte sprechen, dass er sich ab 1913 zwar mehrfach zu seinem doch eigentlich sensationellen Fund geäußert hat, aber stets nur im heimatgeschichtlichen Schrifttum, so dass dieser Fund etablierten Historikern erst geraume Zeit später überhaupt bekannt wurde. Es könnte allerdings auch bedeuten, dass er fürchtete, den Nachweis nicht erbringen zu können. Da der fragliche Druck des oft nachgedruckten Beichtbuches, an dessen Ende Roth die Eintragung gefunden haben will, jedoch bislang nicht wiederaufgetaucht ist, lässt sich die Frage der Echtheit schlicht nicht entscheiden. Klaus Hansel hat 1953 in seiner Dissertation über das Mainzer Viktorstift die Handschrift, die den Tod Gutenbergs im Bruderschaftsbuch von St. Viktor vermerkte, einem bis zum 25. August 1467 amtierenden Brudermeister zugeordnet und vermutet, der Eltviller Pfarrer Mengois habe sich bei seiner 1470 vorgenommenen späteren Eintragung im Jahr geirrt.[34] Dann wäre Gutenberg sogar ein Jahr früher gestorben. Doch auch Hansels Plädoyer für ein Todesjahr 1467 blieb nicht unwidersprochen, so dass auch hier noch nichts entschieden ist. Als sicher kann daher nur gelten, dass Johannes Gutenberg irgendwann zwischen Januar 1465 und Februar 1468 starb. Seine Druckwerkstatt vermachte er seinem Freund und Unterstützer Konrad Humery, der damit aber nichts anzufangen wusste. Also veräußerte er sie an den Kaufmann Johannes Fust – und damit ausgerechnet an denjenigen, der Gutenberg einst in den Ruin getrieben hatte.

Als die Mainzer Kirche 1577 an die Jesuiten überging, wurden sogleich die an den Säulen aufgehängten Totenschilde entfernt, und bereits 1608 konnte auch keine Grabplatte üher Gutenbergs angeblichem wirklichen Grab in Eltville mehr aufgefunden werden. Im 18. Jahrhundert musste auch die Kirche des hl. Franziskus weichen. An ihrer Stelle errichten die Jesuiten eine Barockkirche. Aber auch die existiert schon längst nicht mehr. Ihre Ruinen wurden Anfang des 19. Jahrhunderts beseitigt.[35]

 

 

Anmerkungen

[1] Henchin, Henle oder auch Henne waren damals gebräuchliche Koseformen des Namens Johann.

[2] Ingold Zeisberger, Der Erfinder des Buchdrucks: Johannes Gutenberg – eine Lebensskizze. In: Perspektive Bibliothek 7.1 (2018), S. 115-136, Zitat S. 118

[3] Klaus-Rüdiger Mai, Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte. Berlin: Propyläen Verlag 2016, S. 105. Denn anscheinend hat Gutenberg 1437 Andreas Dritzehn als Lehrling im Münz- oder Goldschmiedehandwerk angenommen, um ihm das ‚Polieren von Edelsteinen‘ zu vermitteln. (Zeisberger, a.a.O., S.119)

[4] Otto Hartwig, Festschrift zum 500. Geburtstag von Johannes Gutenberg, Leipzig 1900, S. 8f. Hier folgen auch einige Lebensdaten von Gutenbergs Bruder und Schwester. Der volle Text des Sühnevertrags, der »Rachtung« des Erzbischofs Konrad III. zwischen den Patriziern und Zünften zu Mainz ist abgedruckt als Dokument Nr. IV auf den Seiten 172-177 (entnommen der Mainzer Chronik im Codex Nr. II, 18 der Stadtbibliothek zu Frankfurt a. M.). Die Festschrift des Marburger Historikers und Archivars Hartwig ist nach wie vor die gründlichste und durch zahlreiche Archivalien angereicherte Lebensbeschreibung Gutenbergs.

[5] Albrecht Kapr, Johannes Gutenberg – Persönlichkeit und Leistung, München 1988, S. 66

[6] Johann Daniel Schöpflin, Vindiciae typographicae. Argentorati 1760, Dokumente Nr. VI und X; abgedruckt in: Hartwig, Festschrift, a.a.O., S. 180f (VI) und 191f (X)

[7] So die Kunsthistorikerin Eva Hanebuch-Benz, Direktorin des Mainzer Gutenberg-Museums, in einem Interview mit dem SPIEGEL (Ausgabe 7, 11.02.2001)

[8] https://pr.princeton.edu/pwb/01/0212/. Sandguss ist ein Gussverfahren mit »verlorenen Formen«. Bei dieser Technik wird ein Prototyp, zum Beispiel ein großes A, in feinen, nassen Sand gedrückt und dann die Hohlform mit Schriftmetall ausgegossen. Die Form wird bei Herausnahme des fertigen Werkstücks zerstört und ist deshalb nur für einen einzigen Abguss verwendbar. Das Gießen der Legierung erfolgt in hand- oder maschinengefertigten Formen aus Quarzsand – daher der Name »Sandguss«.

[8a] Dokument Nr. XIII, in: Hartwig, a.a.O., S. 235-241. Mittellos war er damals allerdings entgegen der Ansicht einiger seiner Biographen wohl nicht, da zu dieser Zeit „seine Habe auf 600-800 Pfund eingeschätzt wurde“ und er auch den Zinszahlungen für dieses Darlehen regelmäßig nachkam. (S. 240f)

[9] Zeisberger, a.a.O., S. 120

[10] Kapr vermutet, dass die eigentliche Erfindung in Straßburg war, aber die Verbreitung von Mainz aus verlief. (Kapr, a.a.O., S. 229)

[11] Ingrid Kästner, Johannes Gutenberg, Wiesbaden: Springer 1984, S. 27

[12] Der transkribierte Text ist hier zu finden: https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Helmasperger/hel_text.html

[13] vgl. Anm. 4

[14] vgl. Fritz Funke, Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches. München: De Gruyter – Saur 1998

[14a] Stephan Füssel, Die Gutenberg-Bibel von 1454, Kommentar zu Leben und Werk von Johannes Gutenberg, Köln: Taschen Vlg.  2018, S. 44

[15] Dazu näher mein Artikel Das „Propagandablatt des Nicolaus Cusanus“

[16] Schöffers Leistung bei der Verbesserung des Gutenbergschen Druckverfahrens beschreibt Carl Anton Schaab, Die Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg zu Mainz. Privatdruck Mainz 1830, S. 305-308

[17] Originaldokumente und ausführliche Kommentare zum Prozess und seinen Hintergründen finden sich  in Hartwig, Festschrift, a.a.O., S. 256-281 und in Schaab, a.a.O., S. 309-327; vgl. auch Kapr, a.a.O., S. 176-178

[18] „Fust und Schöffer befanden sich im Besitze eines Geheimnisses, das Gutenberg so lang und sorgfältig bewahrt hatte, die Druckerei war von ihm vollständig eingerichtet, Schöffers Verbesserungen des Gußverfahrens waren geschehen, Gutenberg war ihnen entbehrlich, er hatte den Rest seines Vermögens in die Druckeinrichtung verwendet, sie wußten, daß er sich außer Stand befand, die ihm vorgeschosscnen Summen auf der Stelle zu ersetzen. Der günstigste Moment war eingetreten, den geheimen Plan auszuführen, um sich den alleinigen Besitz der ganzen Druckerei zu verschaffen und nicht allein Gutenberg daraus zu verdrängen, sondern ihn für die Zukunft ganz unschädlich zu machen. Jede Konkurrenz mit ihnen sollte ihm unmöglich gemacht werden. Ein Vorwand war bald gefunden. Die Kosten der lateinischen Bibel mußten ihn abgeben.“ (Schaab, a.a.O., S. 314)

[19] Eva Hanebutt-Benz, Gutenberg und das Papier, S. 7

[20] Hanebutt-Benz, a.a.O., S. 6

[21] ursprünglich eine gotische Schrift, die Schriftgattung mittelalterlicher Urkunden und Handschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts, die neben Ornamenten und Schnörkeln durch eine eckige, gebrochene und winklige Gestaltung der Buchstaben (sog. eckige Minuskel) gekennzeichnet ist. Da man sie früher irrtümlich den Mönchen zugeschrieben hat, wird sie auch Mönchschrift genannt. Zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt, tritt sie in der sog. Missal-Schrift auf. Dies ist die übliche Schrift der Mess-, Choral-, Antiphonar- und Lektionarbücher des späten Mittelalters. Sie wurde vom Erfinder des Buchdrucks und seinen unmittelbaren Nachfolgern nachgeahmt. Noch heute wird eine bestimmte Schriftgröße als Missaltype bezeichnet.

[22] Ich folge hier der Übersetzung Alberto Manguels in seinem Buch Eine Geschichte des Lesens, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1999, S. 160

[22] Kästner,a.a.O., S. 24

[23] Kästner, a.a.O., S. 24f

[24] Als Sohn eines Gutsbesitzers führte der Autodidakt Roth, der nie eine Universität besucht hatte, offenbar – zumal nach Antritt des väterlichen Erbes 1887 – das Leben eines begüterten Privatgelehrten und sammelte alte Handschriften und Drucke. Eine Vita, die ihn nicht unbedingt beliebt machte bei den akademischen Vertretern der Zunft. Erst recht nicht durch seine rastlose Forschung, die sich in zahllosen Veröffentlichungen niederschlug, wobei er sich bei renommierten Publikationsorten (darunter auch in der führenden mediävistisch-quellenkundlichen Zeitschrift, dem “Neuen Archiv” der MGH) meist auf den Zeitraum von Hochmittelalter bis zum 16. Jahrhundert beschränkte, während er in Artikeln zur nassauischen Orts- und Landesgeschichte, die in Heimatzeitschriften und Zeitungen erschienen, bis ins 19. Jahrhundert vordrang. 1889 stand Roth für kurze Zeit als Archivar in den Diensten des Grafen von Eltz. Daher nannte er sich in der Folge häufig »Archivar a. D.«.

[26] In: Confessionale sive tractatus de institutione seu discretione simplicium confessorum des Antonius Florentinus. O. O. u. J. (Mainz: Fust-Schoeffer, um 1459).  Vgl. Aloys Ruppel, Quando morì Gutenberg? Dove è sepolto? In: La Bibliofilía, Bd. 40, 8/9 (Aug-Sept 1938), S. 328 (https://www.jstor.org/stable/26210063). Der Bibliothekar Ruppel war viele Jahre Direktor des Gutenberg-Museums.

[27] Weil man ihm inzwischen in vielen Fällen auch eine gelegentliche Fälschung der Quellen nachweisen konnte (vgl. https://archivalia.hypotheses.org/728), zog der Historiker Klaus Graf zwar den seltenen Schöfferdruck mit der von Roth gefundenen Inkunabel von Gutenbergs Todestag nicht vollends in Zweifel, hält aber derzeit eine Entscheidung darüber, ob Roths Fund echt war, nicht für möglich. Vgl. Klaus Graf, Hat F. W. E. Roth (1853-1924) auch Johannes Gutenbergs Todestag gefälscht? in: Reviewing Gutenberg. Historische Konzepte und Rezeptionen (= Geschichtliche Landeskunde 76). Hrsg. von Michael Matheus, Heidrun Ochs und Kai-Michael Sprenger. Stuttgart 2021, S. 305-329

[28] Einen Querschnitt der Einschätzungen von Historikern zu Roths Werken hat Klaus Graf auf seinem Blog akribisch zusammengetragen und verlinkt: https://archivalia.hypotheses.org/728

[29] F.W.E. Roth, Johannes Gensfleisch zum Gutenberg, Erfinder der Typographie. Nach dessen Leben und Wirken. In: Hessische Chronik 5 (1916), S. 234; vgl. dazu Graf, a.a.O., S. 310

[30] Das war anscheinend eine Familientradition. „Schon vor ihm zählten Angehörige seines Geschlechtes zu ihren Mitgliedem. So finden wir unter den Kanonikern von S. Viktor den Frylo Gensefleysch und den Jacobus Genfsfleisch scolasticus erwähnt, unter den Laienbrüdern Peter Gensfleys.“ (Hartwig, Festschrift, a.a.O, S. 298)

[31] Das Original des Liber fraternitatis des Viktorstifts befindet sich heute im Staatsarchiv Darmstadt; vgl. Hartwig, Festschrift, a.a.O., S. 295ff. Der Eintrag zum Tod des „Hengin Gudenberg“ enthält zwar kein genaues Datum, doch ein Revers des Ratsherrn Konrad Humery belegt, dass er vor dem 6. Februar 1468 starb, was für das Datum im Druckvermerk Schöffers spricht. (abgedruckt in Hartwig, Festschrift, a.a.O, S. 302-303)

[32] vgl. Aloys Ruppel, Das Grab Gutenbergs. Kleiner Druck der Gutenberg-Gesellschaft Nr. 13. Mainz 1930. Die Randbemerkung Johann Ernst v. Glauburgs in der von ihm herausgegebenen Frankfurter Handschrift der Mainzer Chronik Bl. 56 b (Antiquitates sive Chronicon Moguntinense vetus insertis diplomatibus et aliis monumentis quamplurimis. [I.]. – UB Gießen, Hs 499, 1715). Das Kürzel D.O.M.S. dürfte ein Zusatz Glauburgs gewesen sein, denn ein Epitaph in dieser Fassung  hat es vermutlich nicht gegeben, auch nicht einen Grabstein. Wohl aber habe es den Brauch einer Sterbetafel auf Holz, Pergament oder Papier), wie man sie üblicherweise zu Gutenbergs Zeit an den Grabstätten aufzuhängen pflegte. (Hartwig, Festschrift, a.a.O., S. 146 und 301)

[33] Zitate aus: Kästner. a.a.O., S. 50

[34] Klaus Hansel, Das Stift St. Victor vor Mainz. Diss. masch. Mainz 1953, S. 34–38

[35] vgl. Kästner, ebd.

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