Auf dem Segler von Caspar David Friedrich
Die Geschichte der romantischen Bewegung in Deutschland ist eine Geschichte voller Brüche und Missverständnisse. Nur zwischen 1933 und 1945 schien alles klar zu sein. Denn für die Nationalsozialisten war anscheinend die Romantik die einzig akzeptable Form von Kunst, abgesehen von Arno Brekers monumentalen Skulpturen und den großformatigen sterilen Akten des »Reichsschamhaarmalers« Adolf Ziegler. Man feierte die Romantik als besten Beleg für die »deutsche Innerlichkeit«. Ganz besonders das Werk Caspar David Friedrichs galt den neuen Machthabern als die ‚reinste Verkündigung der Seele des ewigen Deutschlands‘.
Beim Lesen von Florian Illies neuem Buch über Caspar David Friedrich, Zauber der Stille, stieß ich auf eine Geschichte, die Stoff für einen Roman, zumindest für eine Erzählung bieten könnte. Als gegen Ende des 2. Weltkriegs die Schätze der Dresdner Gemäldegalerie ausgelagert werden mussten, da schaffte man sie in das mittelalterliche Schloss Weesenstein, das auf einem Felsen im schwer zugänglichen Müglitztal thronte. Und obwohl die alte Trutzburg sowieso meterdicke Mauern hatte, wurden die besonders schützenswerten Exponate im Kellergewölbe gelagert, und zwar in der ehemaligen Folterkammer. Zwei Soldaten mussten alles rund um die Uhr bewachen. Nur eines traute man ihnen nicht zu. Die Gauleitung der NSDAP ließ nämlich, da „Männerarbeit in puncto Reinemachen immer unvollkommen ist”, einmal pro Woche eine Putzfrau zum Wischen kommen. Die musste wohl ziemlich aufpassen, denn die wertvollen Gemälde und Zeichnungen lagen völlig unverpackt in den Regalen– selbst Raffaels Sixtinische Madonna.
Natürlich waren all die Kunstschätze für das geplante »Führermuseum« in Linz gedacht, das nach dem Endsieg alle Kunstmuseen der Welt überstrahlen sollte. Doch es kam bekanntlich dann doch ganz anders. Am 8. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl die Kapitulationserklärung. Nur einen Tag später erschien auf dem Schloss die sowjetische Trophäenkommission, die offenbar über präzise nachrichtendienstliche Informationen verfügte. Die erste Frage war: „Wo ist die Sixtinische Madonna?” Und zwar in perfektem Deutsch. Innerhalb weniger Tage war der gesamte Bestand der wertvollsten Gemälde fertig verpackt für den Abtransport nach Russland. An Caspar David Friedrichs Werken allerdings waren sie offenbar nicht interessiert; vielleicht, weil er zu sehr von den Nazis gefeiert worden war?
Und so konnte Alfred Unger, der Restaurator der Dresdner Gemäldegalerie, im Oktober 1945 mit einem Pferdewagen und Passierschein vorfahren und einige wertvolle Gemälde von Carl Gustav Carus und Friedrich, unter anderem Zwei Männer in Betrachtung des Mondes, höchstpersönlich abtransportieren.
Ein Gemälde Friedrichs freilich hatte es schon längst vorher nach Russland geschafft: Auf dem Segler – das „vielleicht poetischste Bild, das er je gemalt hat” (Florian Illies). Frisch verheiratet imaginierte er sich und seine junge Frau Line auf ihrer Hochzeitsreise vom kleinen Hafen Wiek auf Rügen nach Rostock, vorn am Bug eines Segelschiffes. Und wie immer bei Friedrich sieht man die Figuren nur von hinten. Gesichter waren eben nicht so seine Stärke. Doch es ist ein ganz und gar nicht rückwärtsgewandtes Bild, und es ist keine Sehnsucht, sondern vielmehr eine Aufbruchsstimmung, die daraus spricht. Kein Wunder, denn der sture und menschenscheue Eigenbrötler konnte sein Glück nicht fassen, dass der schon arg verbeulte Topf doch noch ein junges Deckelchen, und ein hübsches oberdrein, gefunden hatte.
Und genau dieses Bild sieht ein anderer frisch Verheirateter auf seiner Hochzeitsreise, der russische Großfürst Nikolai Pawlovitsch, der spätere Zar Nikolaus I., den seine junge Ehefrau, die preußische Prinzessin Charlotte, als erstes in Friedrichs Haus schleppt; angefixt von ihrem Bruder Friedrich Wilhelm, der zeitlebens ein großer Bewunderer Friedrichs war, dessen Mönch am Meer in seinem Schlafzimmer hing.
Beim Großfürsten weckte wiederum das Bild die frische Erinnerung an die Schiffsreise mit seiner jungen Frau nach Deutschland. In kurzer Zeit wurde man sich handelseinig, und das Gemälde reiste mit dem jungen Paar zurück nach St. Petersburg und ließ einen etwas verdatterten Friedrich zurück, der sich überhaupt keinen Reim darauf machen konnte, warum es ausgerechnet dieses Bild sein musste.
Genau 200 Jahre später kehrte Auf dem Segler, mittlerweile in der Petersburger Eremitage beheimatet, noch einmal nach Dresden zurück für die deutsch-russische Ausstellung „Träume der Freiheit”. Im Ausstellungskatalog ein Loblied des russischen Außenministers Sergej Lawrow auf die Romantik als „einzigartige grenzüberschreitende Kunstbewegung” und auf ihren ganz besonderen Protagonisten Caspar David Friedrich. Mitte Februar 2022 sandte man das Bild nach St Petersburg zurück. Nur wenige Tage später erfolgte dann eine ganz andere Grenzüberschreitung – der Krieg in der Ukraine.
Und erneut gerät der kleine Hafen in Wiek auf Rügen in den Mittelpunkt der Geschichte. Im September desselben Jahres 2022 legte erneut ein Segler von hier ab. Diesmal war es die Andromeda, deren fünfköpfige Besatzung sich tags zuvor im nahen Edeka-Laden mit Proviant eingedeckt hatte. Sie segelte aber nicht nach Rostock, sondern kam von dort und nahm nun Kurs aufs offene Meer, wurde später in der Gegend von Bornholm gesichtet. Nicht lange danach explodierten Sprengsätze an den Erdgasleitungen Nordstream 1 und 2, die Deutschland bis dahin mit günstigem russischem Gas versorgt hatten bzw. versorgen sollten.
Denn diesmal war es keine Hochzeitsreise, sondern ein Sabotageakt, der Deutschland noch lange Zeit zu schaffen machen wird.