Lyrik

William Blake – Der Garten der Liebe

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William Blake – The Garden of Love
The Garden of Love

I went to the Garden of Love,
And saw what I never had seen;
A Chapel was built in the midst,
Where I used to play on the green.

And the gates of this Chapel were shut
And „Thou shalt not,“ writ over the door;
So I turned to the Garden of Love
That so many sweet flowers bore.

And I saw it was filled with graves,
And tombstones where flowers should be;
And priests in black gowns were walking their rounds,
And binding with briars my joys and desires.

Der Garten der Liebe
                                 
Ich ging in den Garten der Liebe
Und sah, was ich niemals geschaut:
Eine Kapelle war, wo im Grünen
Als Kind ich einst spielte, gebaut.
 
Und die Pforten waren verschlossen,
und „Du sollst nicht“ stand über der Tür;
So wandte ich mich zum Garten
Und suchte nach Blumen wie früh’r.
 
Statt Blumen fand ich dort Gräber
Und Grabsteine; um sie herum
Gingen Priester in Scharen in schwarzen Talaren,
D
ie spießten mit Stangen mein Glück und Verlangen.

blake1[1]Das Gedicht stammt aus dem illuminierten Zyklus Songs of Experience (1794). Man könnte darin einfach eine der Zeit verhaftete Philippika gegen die Macht der Kirche sehen, die nicht das verkörpert, wofür sie wortreich einzutreten verspricht, sondern ganz im Gegenteil Verderben bringt und das natürliche Leben und die Liebe verdrängt und abtötet. Aber das wäre nur vordergründig, denn zugleich ist der Garten eine Metapher für die verlorene Unschuld der Kindheit, für den Verlust der Unbefangenheit und die Allgegenwärtigkeit der Zwänge und Konventionen, die Freude und Glücksgefühl (das bei Blake auch hier etwas mit sexueller Lust zu tun hat) verhindern und bestrafen. Die Dornen (briars), mit denen die Priester alle Freuden und Lüste knebeln, mussten leider der Alliteration geopfert werden, da es im Deutschen schwierig ist, das passende Reimwort auf Dornen zu finden.

Vorangegangen war den Songs of Experience der Gedichtband Songs of Innocence, erschienen erstmal im Revolutionsjahrs 1789. Dem mystischen Revolutionär aus dem Geiste der Bibel galten Unschuld und Erfahrung als die entgegengesetzten Pole der menschlichen Seele, als Zustände des Bewusstsein, die die Gegensätze Paradise und Fall aus John Miltons Dichtung Paradise Lost reflektieren. Bei Blake verdichten sie sich zu Formen der Weltwahrnehmung, zu Doors of Perception, denen Aldous Huxley in den frühen 50er Jahren den Titel zu seinem berühmten Essay über seine Experimente mit Meskalin entlehnte. “If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, Infinite. For man has closed himself up, till he sees all things thro‘ narrow chinks of his cavern.”, schrieb Blake 1793 in Marriage of Heaven and Hell. Wie als Bestätigung nannte Huxley 1956 den vertiefenden Essay zum gleichen Thema auch Heaven and Hell. Ob Jim Morrison tatsächlich den Bandnamen „The Doors“ nach Blake auswählte, ist nicht ganz klar (wahrscheinlich bezog er sich auf Aldous Huxley Essay) – aber zumindest kannte er Blakes Werk und ließ sich für seine eigenen Dichtungen davon beeinflussen.william_blake_songs_of_innocence_canvas_print_24[1]

Der Weg vom Paradies zum (Sünden-)Fall, die chronologische Entwicklung von der Unschuld zur Erfahrung wurde zum Topos der Weltsicht der Romantik – Kindheit als Zustand der Unschuld und nicht bereits von der Erbsünde geprägt, aber auch nicht immun und völlig abgeschottet von der gefallenen Welt, einer Welt, die nach und nach die Lebendigkeit der Kindheit verdrängt und erstickt durch die Erfahrung von sozialer und politischer Verderbtheit und durch die Unterdrückung durch Kirche, Institutionen und die Herrschenden.

Schon zu Lebzeiten war Blake unzeitgemäß. Seine Bildwelten blieben oft unverstanden, viele seiner Zeitgenossen lehnten seine Ansichten mal als zu versponnen, mal als zu radikal ab. Jahrzehntelang geriet er in Vergessenheit, bis Mitte des 19. Jahrhunderts Dante Gabriel Rossetti zusammen mit John Everett Millais und William Holman Hunt u.a. die Präraffaeliten gründete, eine Künstlervereinigung, die durch nahezu photorealistische Malerei die Wiederentdeckung des Lebendigen in der Natur feierte. Rossettis Bewunderung für William Blake rückte dessen nahezu unbekanntes Werk in das Licht der Öffentlichkeit. 1893 erschiendann die erste Gesamtausgabe seiner Werke, herausgegeben von William Butler Yeats und  Edwin Ellis, der nicht nur Dichter, sondern auch Illustrator war.

Auch die Beatniks entdeckten in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Blake für sich – Allen Ginsberg hat ihn sogar 1969 mit einigen Freunden musikalisch interpretiert (für meinen Begriff allerdings etwas dilettantisch und sehr zeitgebunden, wie hier zu hören ist). In vielerlei Hinsicht hat  Blakes Gedanken- und Bilderwelt an Aktualität nicht verloren und fordert immer wieder zu einer Interpretation heraus, so etwa in dem 1969 entstandenen Schwarz-Weiß-Film von Jim Jarmusch, einem Spätwestern, der in grandiosen Bildern die Reise des jungen Buchhalters William Blake (gespielt von Johnny Depp) in den Tod schildert. Die kongeniale Filmmusik von Neil Young, z.T. live zum Film improvisiert, unterstreicht dabei die Tiefe und Intensität von Blakes Weltsicht. Sorgsam plazierte Worte William Blakes markieren die Botschaft des Films, so etwa die Bemerkung des Indianers Nobody in Jarmuschs Film, der den jungen Blake für die Inkarnation des Dichters hält: “ Some are born to sweet delight, Some are born to endless night.“ – ein Zitat aus einer Gedichtsammlung, die sich im Nachlass Blakes fand und als das sog. Pickering Manuskript bekannt ist. Einen weiteren Song aus diesem Manuskript sowie andere aus den Songs of Innocence and Experience vertonte 2010 der Pariser Rockmusiker Fernand Péna auf seinem beeindruckenden Album Ode to William Blake, das im Audiobereich von archiv.org kostenlos zum Anhören und Download bereitstehen.

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William Godwin

William Blake wurde am 28. November 1757 als Sohn eines wohlhabenden Strumpfmachers in Westminster geboren. Blakes Eltern waren tiefgläubig, aber gehörten nicht der Amtskirche, sondern der sog. Herrnhuter Gemeinde an, einer unitarisch ausgerichteten überkonfessionellen christlichen Gemeinschaft an, die bis auf den heutigen Tag existiert. Zeitlebens blieb die Bibel seine Lebensgrundlage und Quelle seiner Inspiration. Schon früh erkannte sein Vater, dass sich der höchst eigenwillige Sohn, der schon als Kind Visionen von Engeln und Propheten hatte und auch das „zweite Gesicht“ gehabt haben soll,  für einen gewöhnlichen Beruf wenig eignete. Aufgrund seines künstlerischen Talents er wurde bereits mit elf Jahren in einer der bedeutendsten Londoner Zeichenschulen, Par’s Drawing School, angemeldet. Drei Jahre später kam er als Lehrling zum Kupferstecher James Basire an die Royal Society of Antiquaries. Am 18. August 1782 heiratete er Catherine Boucher, eine junge Analphabetin aus einfachen Verhältnissen, mit der er 45 Jahre eine glückliche Ehe führte und der er anfangs selbst das Lesen und Schreiben beibrachte, so wie er es als Kind von seiner Mutter gelernt hatte, denn Blake hatte nie eine Schule besucht. Ohne Catherines Umsicht und technische Fähigkeiten wären viele seiner z.T. von Hand illuminierten Bücher Makulatur geblieben.

Nach seiner Heirat wurde Blake freischaffender Kupferstecher und Illustrator. Er begann mit einer neuen Methode der Gravur, der Reliefradierung, zu experimentieren, bei der Text und Illustrationen spiegelbildlich mit einer haftenden Lösung auf die Druckplatten gemalt wurden. Anschließend wurden die freien Stellen mit Säure geätzt und die Abzüge handkoloriert.

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Mary Wollstonecraft

Sein Hauptarbeitgeber war lange Zeit der radikale Buchverleger Joseph Johnson, der u.a. die Werke der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft und Ihres Ehemanns, des Schriftstellers und Sozialphilosophen William Godwin herausbrachte und gelegentlich auch mal im Gefängnis landete. Beide, Wollstonecraft und Godwin, gehörten der sog. Dissenting Chapel Londons an, die William Price gegründet hatte. Der ehemalige Prediger Godwin, der zusammen mit Mary Wollstonecraft ein leidenschaftlicher Kritiker der Schattenseiten der industriellen Revolution, gilt als einer der frühen Väter des Sozialismus und gewaltlosen Anarchismus und war eng mit dem jungen Landadligen und Dichter Percy Bysshe Shelley befreundet, den er ebenso wie dessen Freund Lord Byron mit seinen Ideen stark beeinflusste. 640px-Frankenstein.1831.inside-cover[1]

Wenige Monate nach ihrer Hochzeit mit Godwin starb Mary Wollstonecraft 1797 nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Mary am Kindbettfieber. Mary und ihre Stiefschwester Fanny wurden vom Vater allein aufgezogen. 1818, im Alter von 21 Jahren verfasste Mary Wollstonecraft in Genf, wo sie und der Dichter Shelley, den sie 2 Jahre zuvor geheiratet hatte, auf Einladung Lord Byrons den Sommer verbrachten, ihren weltberühmten Roman Frankenstein (oder der neue Prometheus). Die düstere und drogenvernebelte Atmosphäre jenes Sommers in der Villa Diodati des radikalen „schwarzen Romantikers“ Byron hat der englische Regie-Exzentriker Ken Russell 1986 in seinem Horror-Film Gothic einzufangen gesucht.
Dass sich die erst 16-jährige Mary in Shelley verliebte, ihren Vater verließ und mit ihm, einem verheirateten Mann, auf den Kontinent floh, hat Godwin Shelley nie verziehen. Als sich Shelleys erste Frau (mit der er, als sie ebenfalls 16 war, durchgebrannt war)  kurze Zeit später das Leben nahm, weil sie das Kind eines anderen erwartete, stand der Eheschließung der beiden nichts mehr im Wege. Die Heirat führte zum Bruch der langjährigen Freundschaft.

Bei aller Versponnenheit und ausufernden Metaphorik war sich William Blake stets auch der Realität der Armut und Ausbeutung im England seiner Tage bewusst, die die „dark satanic mills“ der industriellen Revolution begleiteten. Nicht ohne Grund, denn sein Arbeitgeber Johnson führte den jungen Mann früh in den Kreis seiner radikalen Freunde ein – und so lernte Blake nicht nur Mary Wollstonecraft und  William Godwin, sondern auch Joseph Priestley, John Cartwright, John Horne und Thomas Paine kennen, der wie kein anderer nach seiner Übersiedlung nach Philadelphia Amerika mit seinen Ideen bis auf den heutigen Tag geprägt hat.

Und so schließt sich der Kreis. Denn Blakes poetisches Werk, seine eindrucksvollen Bilder und Gravuren sind zwar ein höchst komplexes Amalgam aus Prophezeiungen, Sozialkritik und biblischen Legenden. Doch voll erschließen lassen sich  seine suggestiven Bildphantasien und seine poetische Ausdruckskraft erst vor dem Hintergrund seiner sozialpolitischen Überzeugungen und seiner politischen Schriften. In seinen Büchern The French Revolution (1791), America: A Prophecy (1793) und Visions of the Daughters of Albion (1793) entwickelt er seine Haltung der Revolte gegen die Autorität, verknüpfte politische Überzeugung mit visionärer Ekstase. Dabei war er sich der Subversivität einiger seiner Schriften durchaus bewusst: aus Furcht vor politischer Verfolgung wurden einige der Arbeiten wie etwa  The French Revolution anonym gedruckt und nur an  politische Sympathisanten verteilt.

Seinen Lebensunterhalt bestritt Blake bis zuletzt durch Auftragsarbeiten als Kupferstecher, denn seine eigene Kunst blieb trotz aller Anstrengungen erfolglos. Ein letzter Versuch 1809, sein Werk einem größeren Publikum durch eine Ausstellung in der Royal Academy bekannt zu machen, war ein Fiasko. Obwohl er bis zu seinem Tod weiter Poesie, Bilder und eigene Stiche fertigte, fanden sich nur noch selten Käufer.

Blake war ein Mensch voller Widersprüche. Er predigte die Revolution, kokettierte mit dem Jakobinertum, und idealisierte dessen ungeachtet als glühender Patriot die Vergangenheit Britanniens. Er galt allgemeim als Verkörperung der Sanftmut, aber wehe dem Widersacher, der seinen Zorn erregte. Er schrieb Hymnen auf die freie Liebe und die Prostitution, scheute sich nicht, in seinen Aquarellen und Zeichnungen erotische Tabus zu brechen –  lebte aber 45 Jahre lang treu an der Seite seiner einzigen großen Liebe. Und selbst unter dürftigen Lebensbedingungen fand er Erfüllung in seiner Kunst. „Wenn es je einen glücklichen Menschen unter den Intellektuellen gab“, schrieb Peter Ackroyd in seiner Biographie Blakes, „dann war es dieser Künstler.“ Noch auf dem Sterbebett arbeitete Blake an einer neuen Version seines Gemäldes Und Gott erschuf die Welt.

Schon zu Lebzeiten vergessen, starb William Blake 1827 in London und wurde auf den Bunhill Fields, dem damaligen Friedhof der Londoner Nonkonfomisten und Dissenter, anonym bestattet.

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