Diskussion,  Schule

Abbaumethode

Unlängst wurde ich von einer Schulpsychologin nach der ‚Abbaumethode‘ gefragt. Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Du hörst etwas – und schon geht die Schublade auf: Kenn‘ ich doch! Und da fallen einem dann gleich die passenden Namen ein: Träbert, Dilts … Schublade zu, skeptischer Kommentar. Eigentlich sollte ich mich inzwischen besser im Griff haben.

Leselanda[1]Wie dem auch sein, ein gewisses Unbehagen ist gottseidank geblieben, und deshalb habe ich mich nach der Lektüre des Buches von Detlef Träbert an das Buch von Fee Czisch erinnert, in dem die Unterrichtsmaterialien von Ute Andresen hochgelobt werden und auch Hiltraud Prem irgendwo erwähnt wird. Mit Ute Andresen habe ich inzwischen ein paarmal telefoniert und habe ihr Grundschulmaterial auch schon mehreren Grundschullehrerinnen wärmstens empfohlen. Eine dieser Lehrerinnen, an der Grundschule Wanner Straße, erzählte mir, dass man an ihrer Schule erfolgreich seit Jahren methodisch nach der Abbaumethode Hiltraud Prems vorgehen würde.

Dieses kleine 80-Seiten-Büchlein (natürlich mittlerweile vergriffen), fern aller methodisch-didaktischer Verquastheit, lässt sich nicht nur in ein bis zwei Stunden durchlesen. Hiltraud Prem bietet ein klares, einleuchtendes und zudem noch praxiserprobtes Konzept für das Erlernen des Lesens und Schreibens im ersten Schuljahr an. Und wenn man das Ganze mit den liebevoll gestalteten Materialien von Ute Andresen, etwa dem wunderbaren ABC-Buch oder den Goldenen Büchern, erweitert, dann kann man auch im Folgejahr einen Großteil der allseits beliebten Kopiervorlagen unserer Grundschullandschaft dahin befördern, wo sie hingehören: auf den Müll.
Doch was rede ich da? So einfach darf es nicht sein –  nicht in unserer hochkomplexen Welt der Exzellenz-Offensiven und Zertifizierungsagenturen! Denn vor den Verstand hat der liebe Gott schließlich die Didaktiker, Schulpolitiker und nicht zuletzt die mächtige Lobby der Schulbuchverlage gesetzt. Am besten also, man rät Grundschullehrern davon ab, sich mit derart veralteten Methoden überhaupt zu beschäftigen.
Das etwas einfach so funktioniert, kann doch heutzutage nicht das alleinige Kriterium sein! Wo bliebe da das Innovationspotential der „Lernwelt Schule“?

Bernd Woidtke – der Lehrer als Moderator (Klick aufs Bild für vollständiges Interview)

Und, seien wir doch mal ehrlich: Die vorgenannten methodisch-didaktischen Ansätze sind nicht nur antiquiert und viel zu einfach gestrickt, ihnen immanent ist auch die Perpetuierung tradierter Rollenklischees des Lehrer-Schüler-Verhältnisses. Durch den Geist der Aufklärung und das ins Alltagsbewusstsein eingedrungene analytische Denken ist das Verhältnis Lehrer-Schüler heutzutage wesentlich differenzierter und komplexer geworden.

Die Lehrerrolle definiert sich gegenwärtig – und insbesondere an der Ganztagsschule – völlig anders: Lehrerinnen und Lehrer müssen – wie dies schon im Januar 2004 Bernd Woidtke von der Europaschule Kempen in einem Interview auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, erklärt hat – „kompetent die Schülerprozesse aufnehmen, sich selbst zurücknehmen, um ihrer Rolle als Mediator und Moderator selbstgesteuerter Lernprozesse, vor allem im Hinblick auf die zunehmende Relevanz der Neuen Medien, gerecht werden zu können. Vorbereiteter Unterricht mit Plan und dem Ergebnis X ist im Unterricht (…) nicht mehr in erster Linie angesagt. Ich muss den Schülern sehr viel mehr Offenheit zugestehen, das ist eine ganz wesentliche Kompetenz.“ 

Die Basiskompetenz dieses neuen Lehrertyps scheint es zu sein, keinen Plan zu haben: “ Vorbereitet worden bin ich eigentlich überhaupt nicht (….). Ich habe aber eine große Offenheit gegenüber den neuen Medien und den Prozessen, die sich daraus ergeben.“  Allen voran „das Internet“ – denn das „ist ja eine Widerspiegelung der Wissensinhalte in der Welt“. Und dann konnte man praktischerweise sogar die Eltern mit einbeziehen: „Die Eltern haben sich selber angeboten, indem sie uns Equipment geliefert haben, entweder ausrangierte Rechner oder die Hard- und Software selbst installiert haben.“ Was braucht die Schule mehr als ausgediente Hardware?

Denn jetzt geht es ja nur noch darum, „dieses unglaublich komplexe Wissen zu strukturieren und zu reduzieren. Das ist das, was ich den Schülern vermitteln will, das heißt, wenn ich über eine Suchmaschine Informationen ansteuere, dann muss ich unterscheiden können. 90 Prozent der Informationen sind nicht brauchbar. Das Entscheidende ist, die 10 Prozent oder noch weniger zu finden, die nützlich sind.“

Ist doch ein Klacks, oder? Und steigert den Spaßfaktor ungemein: „Meine Rolle als Lehrer hat sich für mich entspannt. Dieser Zwang den ganzen Tag vor der Klasse zu stehen, klug sein zu müssen, hat sich völlig abgebaut.“ – „Ich schicke Schülern e-mails, krieg e-mails zurück, das ist eine sehr viel entspanntere Atmosphäre – sowohl persönlich, als auch als Lehrer.“

Ganz abgesehen von den Schreibfehlern im zitierten Text bin ich heilfroh, dass meine Kinder inzwischen die Schule hinter sich haben. Denn es ist zu befürchten, dass es immer mehr Woidtkes geben wird, die den Zwang klug sein zu müssen, völlig abgebaut haben und sich damit auch noch wohl fühlen.

Über soviel (selbstauferlegte?) Beschränktheit freuen sich doch … die Schulbuchverlage!

Und ganz in diesem Sinne verbreitet deren gemeinsames Internet-Portal „Schulbuchzentrum Online“ einen programmatischen Diskussionsbeitrag Christine Kammerers: „Eine der zentralen Fragen, die eine anstehende Bildungsreform in Deutschland wird beantworten müssen, ist vor allem, wie Bildungsprozesse in der Wissensgesellschaft angemessen organisiert werden können. (…) Lernen in der und für die Wissensgesellschaft bedeutet, die Organisation von Lernprozessen und deren Inhalten didaktisch und methodisch so zu gestalten, dass ein breit gefächerter Kompetenzerwerb und teamorientierte Kommunikation gefördert werden. (…) Die Ausbildung dieser Autonomie beginnt im Moderator-Modell bereits im Lernprozess. Der Lernende steht im Mittelpunkt des Prozesses, dessen tragende Fundamente Freiheit und Verantwortung bilden, ohne dabei die Orientierung auf die Gemeinschaft zu vernachlässigen. Die zentralen Elemente des Moderator-Modells sind die selbständige Organisation von Arbeitsabläufen, Selbstverantwortung und Eigeninitiative, Entscheidungskompetenz, Selbsteinschätzung und Selbstkorrektur, Kooperations- und Teamfähigkeit.

In diesem Prozess sind alle Beteiligten Lernende – auch der Moderator. Sie verfolgen ein gemeinsames Ziel, arbeiten gemeinsam darauf zu und der Moderator tut gut daran, seine eigene ‚Unvollkommenheit‘ zu Beginn des Lernprozesses zu thematisieren. Dieses Eingeständnis zeugt nicht von Schwäche, sondern von hoher Autonomie, denn der Experte ist immer auch ein Unwissender und diese Erkenntnis trägt in erstaunlichem Maße zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Lernenden und zu deren Motivation bei. (…) Der Moderator erfüllt dabei folgende Funktionen: Als kompetenter Berater unterstützt er die einzelnen Gruppenmitglieder bei der Auswahl der geeigneten Methoden und Techniken und berücksichtigt individuelle Neigungen bei der Aufgabenverteilung, als Koordinator behält er den roten Faden im Auge, als Projekt-Manager formuliert er Zwischenergebnisse, verwaltet und archiviert den Prozess. Als Experte steht er für Fragen zur Verfügung (…) und schließlich ist auch noch seine Kompetenz als Pädagoge gefragt, wenn es z.B. um die Entschärfung von Gruppenkonflikten geht.“

Schließlich“ ist „auch noch seine Kompetenz als Pädagoge gefragt„! Im Konfliktmanagement. Wozu auch sonst? Nur schade, dass ihnen das in der Fachdidaktik des verschulten Studiums auch niemand beigebracht hat, den ‚Studentinnen und Studenten‘.

Kein Wunder, dass die Referendarin der Grundschule Wanner Straße bei der Unterrichtsprobe durchgefallen ist, wie mir besagte Lehrerin erzählte.
Das arme Mädchen hatte wohl tatsächlich vor, den Schülern etwas beizubringen.

Werch ein Illtum.

Übrigens: Die Zitate sind echt – leider! Denn es handelt sich hier beileibe nicht um eine Satire –  Wer’s nicht glaubt, kann das ungekürzte Interview hier nachlesen: Vom allwissenden Lehrer zum Moderator

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