
Die Reliquie als politisches Instrument
Zur Geschichte des Titulus Crucis in der römischen Basilika Santa Croce di Gerusalemme

In einer packenden Szenen in Jean-Jacques Anaulds Film Notre Dame brûle über die Brandkatastrophe der Pariser Kathedrale im Jahr 2019 versuchen Feuerwehrleute inmitten des Infernos, die bedeutendste Reliquie der Kirche zu retten – die Dornenkrone Christi. Was ihnen buchstäblich erst in letzter Minute gelang, da sie zunächst die Dornenkrone herausbrachten, die für die Besucher in einer prunkvollen Hülle aus Kristall und Gold auf einem Samtkissen hinter dickem Glas ausgestellt war. Nur war die, was sie nicht wussten, bloß ein Fake, eine Nachbildung, da man die echte Reliquie stets unter Verschluss gehalten hatte. Sie lag in einer Schatulle, die im Safe der Sakristei eingeschlossen war. Erst dem Seelsorger der Pariser Feuerwehr, Kaplan Jean-Marc Fournier, der als Mitglied des »ordre équestre du Saint–Sépulcre de Jérusalem« mit den Reliquien vertraut war und einen Schlüssel für den Safe hatte, gelang es bei einem erneuten Einsatz der Feuerwehrleute, das »Original«[1] in Sicherheit zu bringen.
Nicht minder dramatisch gestaltete sich angeblich bereits im 4. Jahrhundert die Entdeckung und dann 1492 die Wiederentdeckung des titulus crucis, jener hölzernen Tafel, die den Evangelien über dem Kreuz Jesu angebracht war. Noch vor einem Vierteljahrhundert gelang dem umtriebigen Journalisten Michael Hesemann mit seinem Buch Die Jesus-Tafel ein Bestseller, der bis heute neu aufgelegt wird. Sekundiert vom Theologen Carsten Peter Thiede, der auch das Vorwort beisteuerte, versuchte er Beweise dafür zu erbringen, dass es sich beim Titulus-Fragment, das seit Jahrhunderten in der römischen Basilika Santa Croce di Gerusalemme aufbewahrt wird, tatsächlich um einen Teil der authentischen Schrifttafel vom Kreuz Jesu handelt.[2] Auch wenn die Ansichten beider heute als widerlegt gelten können, stellt sich doch die Frage, wie sie sich überhaupt bis ins 21. Jahrhundert haben halten können. Vielleicht gelingt es mir, diese eng mit politischen Entscheidungen und Ereignissen verknüpfte Geschichte der Reliquie in einem anderen Licht zu betrachten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Santa_Croce_in_Gerusalemme_(Rom)
Im Jahre 1553 begründete der Oratorianer Filippo Neri, den man den 2. Apostel Roms (nach Petrus) nannte, eine Pilgertradition am Gründonnerstag, die Siebenkirchenwallfahrt. Die siebte der römischen Hauptkirchen war die Basilika Santa Croce in Gerusalemme, heute eine stark restaurierte paläochristliche Pfarr- und Titularkirche an der Piazza di Santa Croce in Gerusalemme im Rione Esquilino, südlich der Porta Maggiore und so weit östlich, wie man innerhalb der Stadtmauern von Rom kommen kann. Während die Basilika heute einen barocken Glanz ausstrahlt, fand ein Pilger im 16. Jahrhunderts eine alte Kirche im romanischen Baustil vor, wie sie in einem zeitgenössischen, oft nachgedruckten italienischsprachigen Pilgerführer[3] abgebildet war. Seit 1587 konnte ein Pilger darin lesen, welche Schätze ihn in „Santa Croce in Hierusalem“ erwarteten:
„eine mit dem kostbaren Blut des edlen Heilands gefüllte Ampulle, der Schwamm, mit dem ihm Essig & Galle zu trinken gegeben wurde, zwei Dornen aus der Krone, die ihm ins Haupt gestoßen wurde, einer der Nägel, mit denen er ans Kreuz genagelt wurde, den Titel, den er durch Pilatus auf das Holz des heiligsten Kreuzes setzte, das von der heiligen Helena dorthin gebracht wurde, überzogen mit Silber und geschmückt mit Gold und Edelsteinen, einen von den dreißig Dinaren, mit denen Christus verkauft wurde, und die Hälfte des Kreuzes des guten Schächers und viele andere Reliquien...“[4]
In diesem hier beschriebenen silbernen Reliquienschrein aus dem Jahr 1492 wird ein kleines, aber äußerst bedeutendes Artefakt aufbewahrt: der titulus crucis. Oder genauer gesagt: das Fragment einer hölzernen Tafel. Und zwar genau der Tafel, die auf Geheiß des römischen Präfekten Pontius Pilatus am Kreuz Jesu angebracht worden sein soll, um ihn als „König der Juden“ zu verspotten. Die Evangelien liefern uns unterschiedliche Versionen der berühmt-berüchtigten Inschrift, die über dem Kopf des Gekreuzigten prangte. Während die synoptischen Evangelien Markus, Matthäus und Lukas verkünden: „Dies ist Jesus, der König der Juden“, so hält das Johannesevangelium eine detailliertere Variante bereit: „Jesus der Nazarener, der König der Juden“. Das Besondere daran? Diese Inschrift war in drei Sprachen verfasst – Hebräisch, Latein und Griechisch – was uns Joh 19,20 verrät und hinzufügt: „Viele Juden lasen diese Inschrift, denn der Ort, an dem Jesus gekreuzigt wurde, lag in der Nähe der Stadt.“ Aber wie gelangte dieses Schild in eine römische Basilika? Wann wurde es überhaupt in Jerusalem entdeckt?
Reisen im Skriptorium
Unsere früheste Quelle unter den Aufzeichnungen von Pilgern, die als Itinera Sacra bekannt sind, ist die Handschrift eines Anonymus aus Bordeaux, das sog. Itinerarium Burdigalense. Er reiste um 333 von Bordeaux nach Jerusalem.[5] Der Reisende liefert eine kurze, fast stenografische Darstellung, in der vermerkt wird, wohin er ging, was er sah, wo er die Pferde wechselte und wie weit die Entfernungen von einem Ort zum anderen waren, knapp wie Eusebius‘ Onomasticon. Ein besonderes theologisches Interesse weist der Reisebericht nicht auf. Er geht weder auf Menschen, noch auf Flora, Fauna oder architektonische Besonderheiten der jeweiligen Reiseländer ein, und außer einigen Bibelzitaten bleibt selbst die Beschreibung der Durchreise durch das Heilige Land nüchtern. Der Verfasser erwähnt sehr wohl die Basilika Konstantins in Jerusalem[6], doch weder das Kreuz noch den Titulus. Das eint ihn mit dem Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea (ca. 260-339). Auch der schweigt über die Entdeckung des Kreuzes und seines Titulus. Dabei steht außer Frage, dass gerade Eusebius bei seiner Verherrlichung des Konstantinischen Reiches das Auftauchen einer solchen heiligen Reliquie als eine unaufgeforderte Bestätigung der Gunst Gottes gewertet hätte. Nur scheint er von ihrer Existenz nichts gewusst zu haben.[7] Erst Ende der 340er Jahre erwähnt Kyrill, der Bischof von Jerusalem, ein „lignum crucis“ in der Basilika des Heiligen Grabes. Also ein Stück Holz vom Kreuz, aber nicht den Titulus, den wohl auch er nicht kannte.[8]
Wir müssen bis zum Jahr 383 warten, als eine Pilgersfrau namens Egeria berichtete, dass sie „in mensa tam lignum crucis quam titulus“ (auf einem Tisch „sowohl das Holz des Kreuzes als auch den Titulus“) gesehen habe. Aber auch das wissen wir erst seit 1884, als der italienischer Archäologe Gian Francesco Gamurrini das Itinarium Egeriae in einem Codex entdeckt hat, den er in der Bibliothek eines alten Klosters der Pia Fraternità dei Laici in Arezzo fand. Seitdem streiten sich die Gelehrten, ob es aus dem 4., dem 5. oder auch dem 6. Jahrhundert stammt. Nicht mal der Name der zugeschriebenen Verfasserin ist sicher überliefert, manchmal ist auch von Etheria die Rede. Als sicher kann mittlerweile nur gelten, dass der Codex Aretinus 405 (alt: VI, 3), in dem sich der Reisebericht der Egeria/Etheria befand, aus einer der größten Fälscherwerkstätten des Mittelalters, dem Kloster von Monte Cassino[9] stammt, wo er – wohlgemerkt! – erstmals 1532 im Bibliothekskatalog registriert wurde. Datieren kann man ihn also nur anhand der darin enthaltenen Verweise auf tatsächliche historische Ereignisse oder zumindest Personen, die in der Kirchengeschichte auftauchen. Von der Konzeption her geht es in diesem Bericht darum, biblische Ereignisse mit dem jeweiligen Ort in Form einer Mimesis der Heilsgeschichte zu verknüpfen. Er kann also auch bloß eine »Reise im Skriptorium« gewesen sein, wie das im Mittelalter so beliebte Reisebuch von Jean de Mandeville. Oder anders gesagt: eine »Pilgerfahrt im Geist« (Wieland Carls), die nicht corporaliter, sondern spiritualiter vorgenommen wurde.[10] „Eine geistliche Pilgerfahrt muß erzähltypisch als ein Reiseführer angesehen werden, wobei der Mitteilungsschwerpunkt nicht auf pragmatischen Aspekten des Reisens liegt, sondern auf der Imaginierbarkeit des Dargestellten.“[11]

Denn der Text stellt das Alte und Neue Testament und die damit verbundenen Orte, die auf der Pilgerreise angeblich besucht wurden, weitgehend historisch und geografisch dar. Zugespitzt formuliert könnte man sagen: einmal an allen maßgeblichen Konzils-Orten vorbei über Jerusalem zum Sinai. Deshalb haben die beiden Herausgeber der englischen Übersetzung des Itinariums „ohne die im frühen Christentum üblichen typologischen Interpretationen zu verwenden“ mit britischem Understatement angemerkt: „Kurz gesagt, sie war vielleicht nicht schlecht gebildet, aber ihr Wissen scheint nicht besonders anspruchsvoll gewesen zu sein.“[12] Aber dafür berichtet Egeria detailliert, dass sie angeblich um 383 in Zion, wie sie Jerusalem nennt, den Feierlichkeit zu Ostern (samt Eucharistie) und Pfingsten beigewohnt habe. Sie will sogar das Kreuz auf Golgatha zu einer Zeit besucht haben, als das Kreuz noch gar nicht im Zentrum der christlichen Lehre stand. Und weil genau nach diesem Muster mittelalterliche Geschichtsschreibung funktioniert[13], setzt der Egeria-Bericht dort an, wo Eusebius aufhört, um die ganze Story weiter auszuschmücken.
Bei Egeria[14] ist bereits Ende des 4. Jahrhunderts (381-84 n. Chr.) in Jerusalem das ganze Volk anscheinend nur mit Beten, Hymnensingen und Rezitieren aus den Evangelien beschäftigt. O-Ton Egeria[15]:
„Und das ganze Jahr über versammeln sie sich immer am Tag des Herrn in der großen Kirche, das heißt in der, die auf Golgatha steht, das heißt hinter dem Kreuz, die Konstantin erbaut hat; (…) Und dann (…) gehen sie alle nach Eleona, in die Kirche, in der in der sich die Höhle befindet, in der der Herr an diesem Tag mit den Aposteln war. Und dort werden bis etwa zur fünften Stunde der Nacht ständig Hymnen und Antiphonen rezitiert, (…) Und von dort aus gehen sie gegen die sechste Stunde der Nacht mit Hymnen zum Imbomon [der Himmelfahrtskapelle – RS] hinauf, zu dem Ort, an dem der Herr in den Himmel aufgefahren ist. Und dort werden wiederum Lesungen, Hymnen und Antiphonen vorgetragen (…) Und von dort aus ziehen sie mit Hymnen, sogar bis zum kleinsten Kind, zu Fuß mit dem Bischof nach Gethsemane hinunter, wo sie aufgrund der Größe der Menschenmenge, sowohl erschöpft von der Nachtwache als auch schwach vom täglichen Fasten, weil sie einen so großen Berg hinunterkommen müssen, sehr langsam mit Hymnen nach Gethsemane kommen. Mehr als zweihundert Kirchenkerzen werden vorbereitet, um allen Menschen Licht zu spenden. (…) dann wird die Passage aus dem Evangelium gelesen, in der der Herr gefangen genommen wurde. Als diese Passage gelesen wurde, stöhnt und jammert das ganze Volk vor Weinen, sodass die Klage des ganzen Volkes bis in die Stadt zu hören ist. (…)
Wenn sie vor dem Kreuz angekommen sind, (…) wird dort die Passage aus dem Evangelium vorgelesen, in der der Herr vor Pontius Pilatus gebracht wird, und alles, was geschrieben steht, dass Pilatus zum Herrn und zu den Juden gesagt hat, wird vollständig vorgelesen. (…) Dann wird ein Stuhl für den Bischof auf Golgatha hinter dem Kreuz aufgestellt, wo er jetzt steht; (…) und ein silbervergoldeter Kasten wird gebracht, in dem sich das heilige Kreuz befindet; er wird geöffnet und [das Holz] herausgeholt; sowohl das Holz des Kreuzes als auch die Inschrift werden auf den Tisch gelegt. (…) weil es Brauch ist, dass alle Menschen, die einer nach dem anderen kommen, sowohl die Gläubigen als auch die Katechumenen, sich vor dem Tisch verneigen, das heilige Holz küssen (…); es werden auch Lesungen aus den Aposteln gehalten, entweder aus den Briefen der Apostel oder aus der Apostelgeschichte, wo immer sie von der Passion des Herrn sprechen; und es werden auch Passagen aus den Evangelien gelesen, in denen er gelitten hat; so lesen sie aus den Propheten, wo sie sagen, dass der Herr leiden wird, und dann lesen sie aus den Evangelien, wo er von seiner Passion spricht.“
Der gelegentliche Mix von lateinischen mit spanischen, manchmal auch französischen Ausdrücken verweist auf einen spanischen Autor des Reiseberichtes, was für eine gewisse Authentizität sprechen könnte – das klosterübliche Küchenlatein der angenommenen Verfasserin jedoch eher weniger.[16] Noch deutlicher wird der britische Mediävist Peter Dronke: „Jeder Fremde, dem sie begegnet, wird ihr als Abbild des identischen Gipsheiligen präsentiert. Es gibt nie ein Missgeschick, und allmählich beginnt man sich fast nach einem zu sehnen. Hätte Egeria auch nur von einem einzigen Mönch oder Bischof erzählt, der nicht gnädig, sondern unhöflich war, auch nur von einem, der kein wandelndes Lehrbuch der heiligen Geographie war, sondern ihr fromme Schwindeleien erzählte, die sie durchschaute, so hätte die Lebendigkeit des Werkes unermesslich gewonnen.“[17] Da besteht also noch viel Erklärungsbedarf, zumal abgesehen von Jerusalem – auch das wissen wir allein aus den Schriften der Kirchenväter – der Christianisierungsprozess Palästinas bis Ende des 3. Jahrhunderts nur schleppend verlief. Erst im Laufe des 4. und 5. Jahrhunderts wuchs der Anteil der Christen durch Zuwanderung und Bekehrung von Heiden, später auch von Samaritern. Die christliche Elite, die sich im 4. Jahrhundert in Palästina herausbildete, war eine reine Einwanderergesellschaft, die in Klöstern lebte. Die neu gegründeten christlichen Klöster blieben zunächst »Inseln« in einer ansonsten nichtchristlichen Umwelt.[18]
Die Glaubwürdigkeitslücke der antiken Historiographie

Die Entdeckung des titulus crucis wird allerdings auch gar nicht auf Egeria zurückgeführt. Denn ihr Bericht ist offenbar nur inspiriert von einer anderen Saga, die wesentlich bekannter war. Und die wird der legendären römischen Kaiserin Helena Augusta zugeschrieben, die bekanntlich ihren Sohn, den allerchristlichsten Kaisers Konstantin bekehrt haben soll. Nach seiner Himmelsvision (»in hoc signo vinces«) soll er seine Mutter, so berichtet es jedenfalls Eusebius in seiner Kirchengeschichte, nach Jerusalem geschickt haben.[19] Helena ging also auf Pilgerreise und Spurensuche ins Heilige Land, und soll das Kreuz Jesu im Vorfeld von Baumaßnahmen für die Auferstehungskirche (Grabeskirche) in Jerusalem gefunden haben. Der erste Kirchenvater, der die Entdeckung des Kreuzes überhaupt mit Helena in Verbindung brachte, war Ambrosius, Bischof von Mailand, 70 Jahre nach dem angeblichen Ereignis, und zwar , und zwar nicht in einem Geschichtswerk, sondern einer Traueransprache auf den im Jahre 395 verstorbenen Kaiser Theodosius. Wörtlich heißt es in der Trauerrede: „Sie sucht nun nach dem mittleren Kreuzesholz. Doch möglicherweise hatte die Verschüttung die Kreuze durcheinander geworfen, der Zufall sie durcheinander gebracht. Wieder liest sie den Bericht des Evangeliums. Sie findet, dass das mittlere Kreuz die Aufschrift an der Stirne trug: »Jesus von Nazareth, König der Juden«. Hieraus konnte der wahre Sachverhalt erschlossen werden: Aus der Aufschrift ward das Kreuz des Heils offenbar. So lautete die Antwort, die Pilatus den Juden auf ihre Bitte gab: »Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben«, d.h. nicht das habe ich geschrieben, was euer Gefallen finden, sondern wovon die kommende Zeit Kenntnis nehmen sollte. Nicht für euch habe ich es geschrieben, sondern für die Nachwelt – beinahe als wollte er sagen: Helena sollte etwas zu lesen finden als Anhaltspunkt, um das Kreuz des Herrn daraus zu erkennen.“[20]
Nach Ambrosius war es also die beschriftete Tafel, die Helenas Ausgräbern half, zwischen dem wahren Kreuz Christi und den Kreuzen der Schächer zu unterscheiden. Der titulus crucis war demnach das Instrument der Authentifizierung, und als solches – so schildert es der Reisebericht der Egeria zum Ausgang des 4. Jahrhunderts – wurde der Titulus gemeinsam mit dem Kreuzesholz auch Jerusalempilgern in der von Konstantin errichteten Grabeskirche vorgezeigt und zum Kuss dargeboten. Ein anonymer Pilger aus dem italienischen Piacenza will etwa im Jahre 560 „in der Konstantin-Basilika, die an das Grab und Golgotha angeschlossen ist“, gewesen sein. „Im Innenhof dieser Basilika befindet sich eine Kammer, in der das Holz des Kreuzes aufbewahrt wird, das wir verehrten und küssten. Dort befindet sich auch der Titulus, der über dem Kopf des Herrn angebracht war und auf dem geschrieben stand: Hic est Rex Iudaeorum. Ich sah ihn und hielt ihn in meiner Hand und küsste ihn.
Das Kreuz ist aus Nussbaumholz gefertigt. Wenn das heilige Kreuz zur Verehrung aus seiner Kammer in den Hof gebracht wird, wo es verehrt wird, erscheint genau zu dieser Stunde ein Stern am Himmel und kommt über die Stelle, wo das Kreuz ruht, und während das Kreuz verehrt wird, steht es darüber und Öl wird in kleinen Fläschchen zur Segnung angeboten. Wenn die Öffnung eines der Fläschchen das Holz des Kreuzes berührt, sprudelt das Öl sofort heraus, und wenn es nicht schnell geschlossen wird, läuft alles heraus. So wie das Kreuz an seinen Platz zurückgeht, so geht auch der Stern zurück; nachdem das Kreuz verschlossen ist, ist der Stern nicht mehr sichtbar. Es gibt auch den Schwamm und das Rohr, von denen wir im Evangelium lesen (Mt 27,48); aus diesem Schwamm haben wir Wasser getrunken. Es gibt auch den Onyxbecher, den er beim letzten Abendmahl gesegnet hat, und viele andere Wunder: ein Bild der gesegneten Maria auf einem hohen Platz und ihr Gürtel und ihr Stirnband. Es gibt auch sieben Throne aus Marmor der Ältesten.“[21]
Auch das Grab Christi will der Pilger besucht haben. „Der Stein, mit dem das Grab umschlossen war, liegt vor der Öffnung des Grabes, aber von derselben Farbe wie der Felsen, denn er wurde aus dem Felsen von Golgatha gehauen. Nun ist dieser Stein mit Gold und Edelsteinen verziert, und der Felsen des Grabes ist wie ein Mühlstein. Es gibt viele Verzierungen: an Eisenstangen hängen Armbänder, Halsketten, Ringe, Stirnbänder, runde Gürtel, Gürtel, Kaiserkronen aus Gold und Juwelen, verziert mit den Zeichen einer Kaiserin. Das Grabmal ist wie von einem silbernen Kegel unter goldenen Strahlen bedeckt. Vor dem Grab ist ein Altar aufgestellt.“[22]
Jacobus de Voragine schrieb in seiner im Mittelalter äußerst beliebten hagiographischen Legenda Aurea, Helena habe den Jerusalemer Bischof Quiriacus[23] zur Kreuzigungsstätte gesandt, um nach den Nägeln zu suchen, mit denen Christus ans Kreuz geschlagen worden war. „Als er dort hingekommen war und zum Herrn gebetet hatte, da erschienen plötzlich in der Erde die Nägel – strahlend wie Gold. Er nahm sie und brachte sie zur Königin. Sie aber kniete auf die Erde nieder und verehrte sie mit großer Andacht.“ Erst danach habe sie das Kreuz und eine hölzerne Tafel mit der Inschrift gefunden. „Einen Teil des Kreuzes, brachte Helena zu ihrem Sohn; den andern barg sie in silbernen Schreinen und ließ ihn am Ort; die Nägel aber, mit denen der Leib des Herrn am Kreuze angeheftet war, brachte sie ihrem Sohn. (…) Sie gab auch die Vorschrift, das Fest der Kreuzesauffindung solle jedes Jahr feierlich begangen werden.“ [24]
Etwas anders, aber dafür wesentlich blumiger, liest man es bei Rufinus von Aquileia (Anfang 5. Jh.), der es wiederum Eusebius abschrieb, obwohl es Rufinus nach eigenem Bekunden von Gelasius von Caesarea hatte, der sich dabei auf die Bischöfe Kyrill von Jerusalem und Makarius von Jerusalem beruft.[25] Der skeptische Jesuit Jean Hardouin, der schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts solche Schriften für mittelalterliche Fälschungen hielt, hätte seine grimmige Freude an diesem Verwirrspiel gehabt.[26] Die äußerst geschwätzige Fama geht so:
„Etwa um dieselbe Zeit [des Konzils von Nicäa – RS] macht sich Helena, ermahnt von göttlichen Visionen, nach Jerusalem auf. Die Mutter Konstantins, eine Frau unvergleichlich an Glaube und Frömmigkeit und von einzigartiger Hochherzigkeit, deren leiblicher Sohn Konstantin sei und bestimmt ist. Dort erfragte sie bei den Einwohnern jenen Ort, an dem der hochheilige Leib Christi, an das Patibulum genagelt, gehangen hatte. Er war aber schwer auszumachen, da sich dort nach den vergangenen Verfolgungen ein Götterbild der Venus befand, damit jeder Christ, der an diesem Ort Christus anbetet wollte, scheinbar die Venus anbetete. Deshalb war der Ort verlassen und fast in Vergessenheit geraten. Aber als, wie gesagt, die fromme Frau zum Ort geeilt war, nachdem er ihr durch ein Himmelszeichen angezeigt worden war, ließ sie alles Entweihte und Befleckte beseitigen und fand, nachdem sie bis auf den Grund alles beseitigt hatte, drei durcheinanderliegende Kreuze. Doch die Freude durch den Fund wurde durch die unklare Zuordnung der Kreuze getrübt. Es war auch jener Titulus dabei, der in griechischen, lateinischen und hebräischen Buchstaben von Pilatus geschrieben worden war, aber auch der erlaubte nicht mehr eindeutig die Zuordnung des Patibulums des Herrn. Hier nun erforderte das Ungenügen menschlichen Zweifels ein göttliches Zeichen. Es geschah, dass in derselben Stadt eine Frau, die einst hohes Ansehen genoss, durch eine schwere Krankheit erschöpft war und schon auf dem Totenbett lag. Makarius war damals Bischof jener Kirche. Als er die zweifelnde Kaiserin und ebenso die Schaulustigen sah, sagte er: »Bringt alle Kreuze, die ihr gefunden habt, hierher. Und welches das ist, das Gott getragen hat, wird uns jetzt Gott eröffnen.« Und nachdem er mit der Kaiserin und dem Volk zur danieder Liegenden hereingetreten war, beugte er die Knie und brachte Gott folgendes Bittgebet vor: »Du Herr, der du dich gewürdigt hast, durch deinen eingeborenen Sohn dem Menschengenschlecht das Heil durch das Leiden am Kreuz zu bringen, und gerade jetzt in das Herz deiner Magd gelegt hast, das selige Holz zu suchen, an dem unser Heil gehangen, zeige deutlich, welches dieser drei Kreuze zur Herrlichkeit des Herrn gereichte und welches zur Sklavenstrafe dastand, damit diese Frau, die im Sterben liegt, sobald das heilbringende Holz sie berührt hat, sofort von den Toren des Todes zum Leben zurückgerufen wird. « Und als er dies gesagt, hielt er zunächst eines der Kreuze hin und zwar ohne Erfolg. Er hielt das zweite hin und auch auf diese Weise geschah nichts.
Sobald er aber das dritte herbeibewegte, stand die Frau mit plötzlich geöffneten Augen auf und begann, mit wiedererlangten Kräften viel schneller als zur Zeit ihrer Gesundheit im ganzen Haus herumzulaufen und die Macht Gottes zu preisen.“[27]
Damit war für den Mönch Rufinus der endgültige Beweis erbracht. Die Helena-Legende existierte allerdings auch in abgewandelter Form im Christentum des Ostens, wie die griechischen Kirchengeschichten des fünften Jahrhunderts von Sokrates Scholasticos, Sozomenos und Theoderet von Cyrrhus zeigen. So findet Helena bspw. in der Kirchengeschichte des spätantiken Kirchenhistorikers Salamanes Hermeias Sozomenos († um 450) – eine „frommen Fleißarbeit“ (G. Chr. Hansen) für ein anspruchsvolles nichtchristliches Publikum – gar kein Pilatus-Schild. Er weist nämlich in Bd. II, Kap. 1, darauf hin, dass schon bei der Kreuzabnahme das Pilatus-Schild weggeworfen worden sei und Helena im Zweifel ließ, welches der drei Kreuze von Golgatha nun das Kreuz Christi war: „An dieser Stelle wurden drei Kreuze gefunden, und ohne jedes andere Holz mit Worten und Buchstaben in der Reihenfolge einer Schriftrolle in hebräischer, griechischer und römischer Sprache: Jesus von Nazareth, König der Juden.“[28] Und deshalb bedurfte es eines himmlischen Fingerzeigs, um das wahre Kreuz Christi zu identifizieren. Ein mächtiger und starker Lichtstrahl fiel direkt vom Himmel und wies auf eines der drei Kreuze, während die dabei liegenden Nägel wie pures Gold schimmerten.[29]
Schon merkwürdig, dass Helena dann zusammen mit anderen Reliquien das Pilatus-Schild nach ihrer Rückkehr aus dem Heiligen Land der Kirche Santa Croce in Gerusalemme, die sie um 325 n. Chr. in Rom errichten ließ, geschenkt haben soll. Dabei will es der Anonymus aus Piacenza im Jahre 560 in Jersusalem noch in der Hand gehabt haben. Ganz so kann es indes nicht gewesen sein, denn bis ins frühe 6. Jahrhundert war hier überhaupt keine Kirche, sondern ein Palast, die kaiserliche Residenz. Diese wurde erst von den Päpsten Gregor II. (715-731)[30] und Hadrian I. (771-795) restauriert und zu einer Kirche umgewidmet.
Der andere Hauptdarsteller der Kreuzeslegende ist zweifellos Makarius, der zur Zeit der angeblichen Entdeckung des Kreuzes (Mitte des Jahres 320) Bischof von Jerusalem war. Er war es, der durch eine wundersame Heilung das wahre Kreuz unter den drei von Helena auf Golgatha gefundenen Kreuzen identifizierte. Ohne seine Hilfe hätte die Kaiserin das Kreuz Christi nicht erkennen können. Und auch wenn Makarius‘ Identifizierung des Wahren Kreuzes vordergründig die Echtheit des in Jerusalem befindlichen Kreuzes zu bestätigen scheint, so lag der Hauptzweck der Legende darin, Jerusalem, seinen Bischof und die kaiserliche Herrschaft Roms zu verbinden. Es galt, die dreiseitige Beziehung zwischen dem Kaiserhaus, vertreten durch Helena, Jerusalem und seinem Bischofssitz, vertreten durch Makarius, mit dem Kreuz als Symbol zu verknüpfen, das diese Beziehung festigen sollte. Daher auch die Teilung des Kreuzholzes durch Helena; ein Teil verblieb in Jerusalem und ein Teil wurde an Konstantin geschickt, um das Bündnis zwischen Jerusalem und dem Kaiserhaus zu bekräftigen. „In dieser Hinsicht ist der Zweck der Legende bemerkenswert konsistent und vergleichbar mit dem von Cyrils Brief an Constantius. Obwohl es keine Zeugnisse gibt, scheint es daher nicht unwahrscheinlich, dass Kyrill für den Ursprung und die Zusammensetzung der Geschichte von Helenas inventio crucis verantwortlich war.“[31]
Wie Jan Willem Drijvers in seinem Buch über Helena Augusta schrieb, ist die ganze Geschichte der Auffindung des Wahren Kreuzes eine fromme Legende aus später Zeit, die nicht auf zeitgenössischen historischen Beweisen beruht.[32] Ihr Sinn erschließt sich am ehesten, wenn man sie als idealen Mythos für die Jerusalemfrage begreift. Wenn es tatsächlich Gelasius von Caesarea war, der in einem verschollenen Text die Erzählung von der Entdeckung des Kreuzes in seine Kirchengeschichte aufgenommen hat, dann ist es Kyrill gelungen, Jerusalem auf diese Weise zum bedeutendsten Bischofssitz Palästinas zu machen. Das Kreuz, als Symbol und greifbare Reliquie, wird in der Legende politisch instrumentalisiert, als das einende Band zwischen Jerusalem und dem Kaiserhaus.[33]
An der historischen Abfolge indes sind Zweifel angebracht. Der niederländische Archäologe Sible de Blaauw hat darauf aufmerksam gemacht, dass die römische Kreuzreliquie in der Basilika Santa Croce in keiner der verschiedenen Versionen der Legende erwähnt wurde. Der Geschichte zufolge wurden die Kreuzreliquien zwar erstmals unter kaiserlichem Patronat verteilt, aber als eigentliches Ziel nennen Ambrosius, Paulinus von Nola und Sulpicius Severus den großen Rivalen Roms, Konstantinopel.[34] Dies könnte erklären, warum eine eindeutige Verbindung zwischen der Helena-Legende und der römischen Kreuzkirche erst im Spätmittelalter hergestellt wird. Im Liber Pontificalis wird die Kaiserin Helena im Zusammenhang mit der Gründung von Santa Croce nicht erwähnt.[35] Die römische Kirche pflegte zwar das Bild der gottesfürchtigen Heldengestalt, das die Legende dieser berühmten Bürgerin zuschrieb, und der Verfasser des Liber Pontificalis hatte bereits zu Beginn des 6. Jahrhunderts diese neue Sicht der Helena Augusta verinnerlicht, wie der Beiname beata zeigt, den Helena in der Passage über ihr Mausoleum erhielt. Mit diesem Beinamen, der nur Heiligen vorbehalten war, wurde Helena den großen römischen Märtyrern gleichgesetzt.
Dennoch existierten die Sessorianische Basilika in Rom und die Helena-Legende jahrhundertelang nebeneinander, ohne sich zu vermischen. Ein anonymer Pilgerführer durch Rom aus dem 9. Jahrhundert, der Codex Einsidlensis 326, berichtet von der Kirche Santa Croce, die hier aber unter diesem Namen noch nicht bekannt ist, sondern bloß „Iherusalem“ genannt wird, ohne eine Kreuzesreliquie zu erwähnen.[36] Die früheste bekannte Erwähnung einer Kreuzesreliquie, die von Helena nach Rom gebracht worden sein soll, betrifft nicht einmal Santa Croce, sondern den Lateran. Sie erscheint in der ersten Fassung der Descriptio Lateranensis Ecclesiae aus den Jahren zwischen 1073 und 1118. Kurioserweise fehlt dieser Hinweis jedoch in den Druckversionen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Andererseits wird in demselben Traktat die Entstehung einer allgemeineren Tradition im Lateran deutlich: die Feier der Helena als Mittlerin zwischen Jerusalem und Rom. Die Existenz von Reliquien aus dem Heiligen Land im Lateran wird mit einem klaren Hinweis auf die Pilgerfahrt Helenas erklärt. Die Kreuzreliquie wird im Laterantext in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt. Erst im 15. Jahrhundert wird ausdrücklich berichtet, dass die Passionsreliquien von der Mutter Konstantins nach Santa Croce gebracht worden seien.[37]
Glaubenswahrheiten zum Anfassen – der Reliquienkult
Reliquien erfreuten sich im 11. und 12. Jahrhundert wachsender Beliebtheit, zumal sie ein probates Mittel waren, um spendenfreudige Pilger anzulocken. Ein Fragment des Wahren Kreuzes wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts unter dem Pontifikat von Paschalis II in die Apsis von San Clemente eingemauert. Ein Goldschmied des römischen Senats fertigte um die gleiche Zeit eine Staurothek an, die in Santa Maria del Portico in Campitelli aufbewahrt wird. Das Kloster von St. Bonifaz und St. Alexis auf dem Monte Aventino besaß im 14. Jahrhundert eine weitere. In Saint-Clément wurde Holz vom Kreuz Christi in das Mauerwerk eines öffentlichen Monuments eingebaut. Papst Sixtus V. legte einer römischen Überlieferung zufolge ein Stück davon auf die Spitze des Obelisken, den er auf dem Petersplatz errichten ließ.[38] Das große Kruzifix von Suger, das in der Achse der neuen Basilika von Saint-Denis vor dem Altar des Erlösers und des Heiligen Kreuzes steht, wurde von Papst Eugen III. geweiht, der diesem Meisterwerk der Goldschmiedekunst ein Fragment des titulus aus dem Sancta Sanctorum zukommen ließ (de titulo verae crucis Domini… de capella sua portionem in eo /crucifixixo/ assignavit).[39] Aber das erwähnt Abt Suger nur beiläufig.[40] Im 12. Jahrhundert, als erstmals vom Titulus in Rom die Rede ist, wird in einer anderen kirchlichen Quelle berichtet, dass ein Priester der Sainte-Chapelle in Paris einige Jahre nach dem Tod des heiligen Ludwig, König von Frankreich, den Titulus unter vielen anderen Passionsreliquien in dieser Kirche sah.
Im Jahr 1049 wurde Santa Croce für mehr als ein Jahrzehnt Eigentum der Benediktiner von Monte Cassino. Als diese im Jahr 1062 nach San Sebastiano fuori le Mura umzogen, überließ Papst Alexander IL die Kirche den Kanonikern von San Frediano di Lucca. Im 12. Jahrhundert scheint die Basilika unter den Chorherren von San Frediano zu neuem Glanz aufzusteigen, was vor allem durch eine radikale bauliche Erneuerung ermöglicht wurde. Nur wenig später „tauchten neue Reliquien der Passion des Herrn auf, um die kultische Identität zu bestätigen und die Geschichte der Gründung wieder erlebbar zu machen. Auch wenn diese Reliquien aus dem Mittelalter stammen, haben sie den Verdienst, der ältesten Memorialstätte des Kreuzes im Westen gerecht zu werden.“ (Wasser und Blut Christi, sein Schweiß, die Dornen der Krone, der Nagel, der Strick, mit dem Jesus gefesselt wurde, usw.)[41]
Ab etwa 1140 wurde die Kirche im romanischen Stil quasi neu errichten, d.h. das Innere wurde entkernt, während nur die Außenmauern erhalten blieben, und als dreischiffige Basilika unter einem großen Ziegeldach wieder aufgebaut. Die treibende Kraft war Gherardo Caccianemici de l’Orso, der zunächst Kanoniker, von 1122-44 Titularkardinal von S. Croce und seit 1141 zugleich päpstlicher Kanzler war, bevor er 1144 in seinem letzten Lebensjahr Papst Lucius II wurde. Die Arkaden an den Wänden, die noch offen waren, wurden zugemauert. An der Fassade wurde ein hoher Glockenturm angebracht. Das Fußbodenniveau wurde angehoben, so dass die Helena-Kapelle fast zwei Meter unter dem heutigen Niveau der Basilika lag. Und hier nun kommt die hl. Helena ins Spiel. Denn erst zu dieser Zeit wurde die Kirche in Santa Croce umbenannt. In einer Nische an der Spitze des Triumphbogens der Basilika, so heißt es, sei dann die »Reliquie« des titulus crucis in einer Ädikula eingemauert worden.[42]
Doch jetzt kommt der erste Dämpfer für alle Freunde der Legende: Der titulus crucis in Santa Croce ist kein Relikt aus der Zeit Jesu, sondern stammt aus dem Mittelalter. Eine Radiocarbon-Analyse der italienischen Geowissenschaftler Carlo Azzo und Francesco Bella aus dem Jahr 2002 hat ergeben, dass das Nussbaumholz, auf dem die Inschrift eingraviert ist, auf das 10. bis 12. Jahrhundert nach Christus datiert werde muss.[43] Ein mittelalterliches Artefakt also, das Holz jedenfalls stammt, wie im Übrigen schon 1995 von australischen Forschern festgestellt, aus dem Mittelalter, die eingravierte Inschrift demnach auch. Angeregt hat diese C14-Studie übrigens eine Expertin für den Titulus, die inzwischen 90jährige Maria-Luisa Rigato von der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.[44]
Zunächst allerdings scheint man diese epochale Reliquie nach Papst Lucius‘ Tod sowieso völlig vergessen zu haben. Am Sonntag, dem 27. Januar 1492[45] machte man bei Restaurierungs- und Verschönerungsarbeiten der Basilika Santa Croce einen aufsehenerregenden Fund. Die Arbeiter fanden in einer Nische über dem Triumphbogen eine „capsula plumbea“[46], die hinter einem Ziegelstein verborgen war. Im Inneren? Der besagte titulus crucis! Er trug eine fragmentarische Inschrift in Hebräisch (nur in Teilen erhalten und kaum entzifferbar), gefolgt von griechischen und lateinischen Inschriften – die letzten beiden sind besser lesbar, wenn auch seltsamerweise von rechts nach links geschrieben. Dazu später mehr.
Gefunden wurde dieses Reliquiar nicht etwa in der Helena gewidmeten Kapelle, sondern hinter dem Schlussstein im Triumphbogen der Basilika über dem Hochaltar. Denn die sog. Kapelle der hl. Helena war ein Raum auf der rechten Seite hinter der Apsis – er gilt als Helenas privates Wohnzimmer im früheren Palastkomplex. Der Zugang erfolgt über eine schmale Treppe am Ende des rechten Seitenschiffs. Jedenfalls traf es sich gut, dass der damaligen Kardinalspriester von Santa Croce, Pedro González de Mendoza, gleich die Verehrung der wiederentdeckten »Reliquie« in die Wege leitete. Auch das war kein Zufall.

Der erste, der den Titulus akribisch untersucht und Anfang Februar 1492, also mehr als einen Monat nach dem angeblichen Entdeckungsdatum, beschrieben hat, war der humanistische Künstler Leonardo da Sarzana. Seine Ergebnisse teilte er dem einflussreichen Gelehrten und päpstlichen Nuntius in Florenz, Jacopo Gherardi[47] (1434-1516) am 4. Februar 1492 in einem ausführlichen Brief mit: „Hinter diesem Ziegelstein befand sich ein Bleikästchen, das von einem eigenen leeren Raum umgeben und mit drei Wachssiegeln versiegelt war. Auf seiner Innenseite, die in der Wand verborgen war, waren in den schönsten alten, länglichen Buchstaben folgende Worte eingemeißelt: titulus crucis, in zwei Zeilen, wobei jedes Wort in einer eigenen Zeile stand. Hinter diesem Ziegel lag in der Mitte des oberen Teils eine gewisse, von einem eigenen leeren Raum umgebene, mit drei festen Siegeln versiegelte Bleischachtel: Auf der Seite, die dem oben genannten Ziegelstein zugewandt war, waren die folgenden Worte eingraviert, mittelgroß und in einer alten Form: Ecce lignum crucis. In der Schatulle selbst befand sich ein gewisses Stück Holz, das sehr verfallen und alt aussah, auf allen Seiten nicht mehr fest und unversehrt, etwa zwei Finger dick, anderthalb Handflächen lang und einen Zoll breit. […] Es besteht kein Zweifel, Hochwürden, dass dieses Holz ein Stück jenes heiligen Holzes ist, an dem unser Erlöser aufgehängt und mit Nägeln befestigt wurde, und dass dies tatsächlich die Aufschriften seines Patibulums sind.“[48] Leonardo da Sarzana informierte auch Lorenzo den Prächtigen von Florenz am „quarto Februarii MCCCCXCII“ in einem weiteren Brief über den Fund, um dem Ganzen auch gehörigen Nachdruck zu verleihen.[49] Unsere früheste Quelle für den Titulus scheinen tatsächlich die beiden Briefe zu sein, die Leonardo da Sarzana im Februar 1492 verfasste. Er war auch der erste, dem auffiel, dass das Griechische und Lateinische in Spiegelschrift war, und der dies als Beleg deutete, dass die griechischen und lateinischen Inschriften aus Ehrfurcht der hebräischen Schreibrichtung entsprechen sollten, die er übrigens als letzte erwähnt. In bester Manier eines Antiquars jener Zeit nutzte Leonardo den materiellen Beweis (die ungewöhnliche Schriftrichtung) als Beweis der Echtheit. Er versuchte sich auch an einer Rekonstruktion des verstümmelten Textes:
„Das Hebräische ist gekürzt und sieht wie folgt aus: ישו נצר מלך (yeshu notzr[i] melekh), also Ihesus Nazarenus Rex. Die griechische Version lautet wie folgt: ις Ναζaραιρος β, d.h. Ihesus Nazarenus, aber der Begriff βασιλείς, d.h. König, fehlt bis auf den ersten Buchstaben, der Vita [Beta] ist. Aber auf Lateinisch ist es somit bis zu Ihesus Nazarenus re. Da Wort rex ist unvollständig, weil der Buchstabe X fehlt.“[50]
Seine Beschreibung, wie er es geschafft hatte, den Text lesbar zu machen, spricht Bände. Die Antiquare jener Zeit nutzten bei schwer lesbaren Inschriften häufig ein Verfahren, das der spanische Humanist Erzbischof Antonio Agustín sehr genau beschrieben hatte: Ausgießen mit Tinte, und dann vorsichtig mit Papier abpausen.[51] Da ein anderer Zeuge, der Chronist Stefano Infessura, ein paar Tage später rote Farbreste in den Buchstaben bemerkte, scheint sich Leonardo da Sarzana den seit der Antike (und z.T. bis heute in der Emilia Romagna) in Italien populären „Rostdruck“ auf Textil zunutze gemacht haben. Hierbei wird in Vertiefungen (oder später auch auf erhabene herausgearbeitete Stellen) einer Holztafel eine speziellen aus Eisenrost angefertigte Paste eingepresst, die dann in einem einfachen Druckverfahren auf Textilien gedruckt wird. Leonardo war aufgefallen, „diese Buchstaben sind andersherum geschrieben: Es scheint wahrscheinlicher, dass sie in das Holz eingestochen wurden, in umgekehrter Richtung wie die hebräische Schrift, und um sie zu verstehen, können sie mit roter Farbe ausgefüllt werden, denn gedruckt sehen sie dann umgekehrt aus. IESAS NA ZARAENAS RE Griechisch usw Hebräisch usw.“[52]Aber vielleicht täusche ich mich auch, und Leonardo hat gar nicht selbst mir roter Farbe hantiert, wie Grafton & Schwab vermuten. Denn so ganz klar wird aus seinem Bericht nicht, ob er selbst im Beisein der spanischen Delegation, die um ihn herumstand, die Farbe in die Vertiefungen gepresst hat oder sich noch Farbspuren in den eingravierten Buchstaben befanden, die ihn erst auf die Idee eines Drucks brachte.
Ebenfalls erst im Februar 1492 notierte der damalige päpstliche Zeremonienmeister Johannes Burckard (ca.1450-1505) in seinem Zeremonientagebuch[53], er habe die Inschrift auf den drei Siegeln entziffert: „Gerardus cardinalis Sancte Crucis“. Burckhard identifizierte ihn als den Bologneser Gherardo Caccianemici de l’Orso, der 1123 zum Kardinalpriester von Santa Croce in Gerusalemme ernannt wurde. Das Reliquiar soll also das Siegel des Kardinals Gherardus getragen haben, das dem Jahr 1148 entspricht.[54] Doch wirft die Datierung nur Fragen auf, denn dieser Chorherr war in der Zwischenzeit für ein knappes Jahr (vom 9. März 1144 bis zu seinem Ableben am 15. Februar 1145) als Lucius II. Papst geworden. 1148 war er also bereits drei Jahre tot. Burckard schrieb indessen unbeirrt:
„Sie [die Bleischatulle] war mit einem Ziegelstein bedeckt, mit einer Schnur verschnürt und mit drei Siegeln versiegelt, die jedoch alle den gleichen Abdruck aufwiesen. Auf diesen Siegeln standen die folgenden Worte: »Gerardus, Kardinal von Santa Croce«, und in der Mitte befand sich ein Abbild einer mittelgroßen Gestalt mit einem runden Hut, der etwas größer war als die Münzen von Papst Paul II. seligen Angedenkens. Aber auf dem Ziegelstein, der die erwähnte Schatulle bedeckt hatte, waren auf der nach innen gerichteten Seite die folgenden Worte eingraviert: titulus crucis.“[55]
„In dieser Kiste fand man eine kleine Tafel. Sie war sehr alt, halb verrottet, aus Holz, ein Palmo oder etwas mehr lang, mehr als zwei Drittel eines Palmo breit und mehr als zwei Finger dick. Auf dieser Tafel waren hebräische, griechische und lateinische Buchstaben in umgekehrter Richtung eingraviert, wie es bei den Juden üblich war: IS. NAZARENUS RE. Der Rest des Titels, d. h. x Ju’deorum, fehlte. Und die Tafel selbst zeigte die Inschrift, die auf einer Seite begann, so wie sie war, als sie noch nicht geteilt war. Daher wurde angenommen, dass auf der anderen Seite derselben Tafel – die fehlte – der Rest der Buchstaben auf diese Weise eingeschrieben worden war.“[56]
Danach wäre die Tafel mehr als 22,28 cm gewesen, und mehr als 15 cm breit.
Der Magistratsbeamte und Chronist Stefano Infessura (ca. 1440-1499) dagegen beschreibt einen „Marmorquader“ mit der Aufschrift „hic est titulus verae Crucis“.[57] Demgegenüber hatte Burckard von einem Ziegel gesprochen und beschrieben, dass dieser mit der Inschrift nach innen in die Decke eingelassen sei, also von außen gar nicht gelesen werden konnte. Und Burckhard hatte erwähnt, dass der Name des Kardinals Gerardus auf der Schatulle zu lesen war. Nichts dergleichen findet sich bei Infessura, von dem eine abweichende Beschreibung stammt:
„Am selben Tag geschah ein Wunder in der Stadt: Denn als der Kardinal vom Heiligen Kreuz, Mendoza, wie man sagt, auf eigene Kosten die besagte Kirche verputzen und weiß machen ließ, klopften die Arbeiter unter die Decke des in der Mitte der Kirche in der Nähe des Daches vorhandenen Bogens, wo sich zwei kleine Säulen befinden, weil die Stelle dort hohl schien. Und als sie es geöffnet hatten, fanden sie eine kleine Nische, in dem sich eine zwei Ellen große bleierne Schatulle befand, die gut verschlossen war, und davor ein quadratischer Marmorstein, auf dem die folgenden Buchstaben eingraviert waren: hic est titulus verae Crucis. In diesem Behältnis fand man eine kleine Tafel, anderthalb Palmi (Spannen) lang und einen Palmo (Spanne) breit. An einer Seite war sie abgenutzt und vom Alter zerfressen. Und darin eingraviert mit roter Farbe ausgemalt die Buchstaben, bzw. Worte: HYESUS NAZARENUS REX IUDAEORUM; aber das Wort IUDAEORUM war verstümmelt, weil das RUM bis zum R einschließlich fehlte. Dieses UM war weggefallen, weil es an dieser Stelle verrottet und aufgrund seines Alters verloren gegangen war. Und die erste Zeile war in lateinischen Buchstaben geschrieben; die zweite in griechischen Buchstaben; und die dritte in hebräischen Buchstaben.“[58]
Demnach wäre die Tafel etwa 33,5 cm gewesen, und mehr als 22 cm breit. Und die Verse in umgekehrter Reihenfolge: Latein – Griechisch – Hebräisch.
Einig waren sich beide darin, dass es sich um ein einfaches, ziemlich altes und verrottetes Stück Holz handelt, das offenkundig nicht mehr vollständig war. Teile davon fehlten. Auch der lateinische und griechische Text war eigentümlicherweise wie im Hebräischen von rechts nach links geschrieben. Über den Wortlaut der Inschrift herrschte allerdings Uneinigkeit. Burckard transkribierte den lateinischen Teil und stellte fest, dass er unvollständig war. Infessura dagegen bot eine vollständigere Version, behauptete aber, das Wort iudeorum sei verstümmelt, offenbar als Auswirkung der Fäulnis. Schon ein kurzer Blick auf das Objekt selbst, das heute noch in Santa Croce aufbewahrt wird, zeigt, dass die Beschreibung des lateinischen Textes durch Burckard zutreffender war.[59] Die unterschiedlichen Darstellungen der beiden Männer sind vermutlich auf ihre Stellung in Rom zurückzuführen. Der Jurist Infessura repräsentierte die Meinungen und Interessen des römischen Patriziats. In seinem Tagebuch zeichnete er ein polemisches Bild der politischen Angelegenheiten der Stadt Rom und ließ sich gerne zu den pikanten Skandälchen hinreißen, für die die päpstliche Kurie berüchtigt war.[60] Ein solche Sichtweise war einem stolzen Mitglied der päpstlichen Entourage wie Burckard fremd. Sein Liber notarum widmete sich voll und ganz den ästhetischen Anforderungen und praktischen Problemen der Liturgierichtlinien, die ihm am Herzen lagen.
Im direkten Vergleich der Berichte fallen einige interessante Unterschiede in den Beschreibungen auf, wie, wann und wo die Reliquie entdeckt wurde und wie ihr Behälter aussah. Alle stimmen darin überein, dass der bleierne Behälter im Dach der Basilika Santa Croce entdeckt wurde. Johannes Burckhard beschreibt ihn jedoch als mit einer Kordel umwickelt, die auf einer Seite der Schatulle mit drei Siegeln befestigt war, auf denen die Worte „Gerardus Cardinalis S. Crucis“ standen. Abweichend von den anderen Chronisten des Fundes erwähnt Leonardo da Sarzana nur unspezifisch drei Wachssiegel, die er zweifellos entfernen musste, um den Inhalt der Schatulle in Augenschein nehmen zu können. Er stimmt mit Burckhard überein, dass die Worte „Titulus crucis“ auf der Innenseite des Ziegels gestanden hätte, ist sich aber sicher, dass in den Deckel der Bleischatulle „die folgenden Worte eingraviert [waren], mittelgroß und in einer alten Form: Ecce lignum crucis“. Leonardo gab nicht nur den Wortlaut an, sondern beschrieb auch die Schriftform, und zwar detaillierter als Burckard: „pulcherrimis literis Antiquis, et oblongis excavata“. Bei der Verwendung des Begriffs „länglich“ zur Beschreibung der „schönsten alten antiken Buchstaben“ dachte er womöglich an die großen Versalien spätantiker Codices, deren Größe und Form für ihn ein klarer Beweis für ihr Alter waren.[61]
Ein weiterer Autor, der Humanist und päpstliche Sekretär Sigismondo dei Conti (1432-1512), hat das Ereignis der Entdeckung einen Tag vor Infessura, nämlich am letzten Tag im Januar 1492, verzeichnet: „Am Tag vor diesem Tag, an dem der Bote eines so großen Sieges kam, das war der letzte Januar, wurde das Stück des Kreuzes, auf dem Pontius Pilatus hebräische, griechische und lateinische Buchstaben eingravieren ließ: „Iesus Nazarenus rex judeorum“, wurde in Rom im Haus des Heiligen Kreuzes gefunden, wo es viele Jahre zuvor von Gerard, einem Kardinal der Heiligen Römischen Kirche, hingelegt worden war, wie die dort gefundenen schriftlichen Zeugnisse bezeugen.“ [62]
Die Zeitgenossen jedenfalls ergingen sich schon früh in phantastischen Beschreibungen. So heißt es in einem erst jüngst in Padua gefundenen Brief eines anonymen Verfassers vom 2. Februar 1492, den Maria Luisa Rigato 2012 veröffentlichte: „Gestern Morgen vor dem Essen sah ich ihn und küsste ihn, wenn auch unbewusst, und er verströmte einen solchen Duft, einen unbeschreiblichen Geruch und eine Süße, wie man sie auf dieser Welt nicht schöner erleben kann. Eine spirituelle Elektrizität floss durch ihn und die, die mit ihm in Berührung kamen.“[63]
Merkwürdig nur, dass der Titulus seinen Platz unter den Kreuzreliquien zuvor wohl nicht behaupten konnte und jahrhundertelang weitgehend unsichtbar blieb. Denn in der für die mittelalterliche Tradition der Kreuzlegende wichtigsten Überlieferung, die Ende des 4. Jahrhunderts mit dem heute verlorenen Text des Gelasius von Caesarea einsetzt, ist vom Titulus überhaupt nicht die Rede. Warum mag wohl der nur bei Burckhard erwähnte Kardinal Gherardo Caccianemici den titulus crucis so versteckt haben, dass keine Spur davon mehr sichtbar blieb? Das bleibt ein Rätsel! Es gibt keine Dokumente über die Umstände seines Verstecks und vor dem Brief Leonardo da Sarzanas auch keine Aufzeichnungen über seine Existenz in Rom.

Manchmal wird in der Literatur darauf verwiesen, dass es anscheinend schon Jahrzehnte vor der „Entdeckung“ des Titulus eine Reihe von Hinweisen darauf gab, dass er sich in Santa Croce befinden würde. Ein populärer spätmittelalterliche Reiseführer für Pilger, »Ablässe der Kirchen von Rom«, oft nachgedruckt im 14. und 15. Jahrhundert, weise bereits in einigen erhaltenen Ausgaben darauf hin. Oder es wird auf den Nürnberger Patrizier Nikolaus Muffel verwiesen, der in seinem unveröffentlichten Reisebericht geschrieben habe, er habe bei seinem Aufenthalt in Rom im Jahr 1452 in Santa Croce „die Hochschrift des heiligen Kreuzes gesehen, auf der steht: Jhesus Nazarenus rex Judaeorum“ – also vierzig Jahre vor der wundersamen Entdeckung! Doch scheint er gar nicht den titulus Crucis von 1492 gesehen, denn er schreibt:
“Item unter dem hoen altar ligt sanctus Anastasius und s. Johanns [tatsächlich: Caesarius – RS], und ob demselben altar in einem fenster, do ist ein stuck von dem creutz des bekerten Schachers, der do hing zu der rechten seitten Christi und ist auch die über schrifft des heiligen creutz, daran stet: Jhesus Nazarenus rex Judaeore.“ [64]
Muffel hat diese „Überschrift“ nur auf einem vergoldeten Kreuz gesehen, das auf dem Altar stand, wie sich aus dem Pilgerführer erschließt: „Außerdem steht oben auf dem Altar auf einem vergoldeten Kreuz der Titel Christi, nämlich »Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum«“.[65] Wer einen Blick darauf warf, durfte sich auf 7 Jahre Ablass freuen. Nur ein einziger bekannter Text könnte einen Hinweis darauf bieten, dass die Existenz des Titulus von Santa Croce bereits vor seiner „Wiederentdeckung“ bekannt war. In einem römischen Pilgerbuch aus dem 15. Jahrhundert, das der Herausgeber Christian Hülsen auf den 20. November 1489 datiert, lesen wir:
[30v] (…) Item in der kirch ob dem swippogen in der maur ist von den titel »lesus nazarenus rex iudeorum«. Daby ist auch ein gros stucke von dem crutz des schechers, der zu der rechten siten hing, da Cristus, vnser Herr, gecruziget wart. Das ligt [31r] im fenster ober dem swippogen, das man es wol sehen mag.“[66]
Von einem dreisprachigen Titulus ist allerdings auch hier keine Rede. Halten wir also fest, dass es bis 1492 keinen einzigen Beleg für die Existenz, Ausstellung oder Verehrung des titulus crucis in Rom gibt. In den wenigen Quellen wird der Titulus erstmals nach der mittelalterlichen Restaurierung der Kirche Santa Croce erwähnt, zusammen mit einer Fülle von Reliquien der Volksfrömmigkeit, die alle aus derselben Zeit oder aus der Zeit nach der Restaurierung stammen (neben den bereits erwähnten Fragmenten aus der Grotte von Bethlehem, der Geißelsäule, dem Patibulum des Guten Diebes, dem Fingerglied des Heiligen Thomas usw.). Die frühesten Hinweise auf die Existenz des Titulus in Santa Croce sind bloß indirekt und daher nicht verifizierbar. Es lässt sich mithin nicht entscheiden, ob überhaupt dasselbe Objekt gemeint war. Und nur eine einzige Primärquelle, der päpstliche Zeremonienmeister Burckhard, behauptet, die Bleischatulle, über deren Verbleib nichts weiter bekannt ist, sei mit drei identischen Siegeln verschlossen gewesen, die die Inschrift „Gerardus cardinalis Sancte Crucis“ trugen. Die Überlieferung besagt zwar, dass die heilige Helena im 4. Jahrhundert den Titulus zusammen mit dem gesamten Kreuz Christi fand und dass er irgendwann Jerusalem verließ und nach Rom kam – aber nach dem 6. Jahrhundert gibt es keine Pilgerberichte mehr darüber, und an der Echtheit der wenigen vorhandenen sind erhebliche Zweifel angebracht. Von der angeblichen Entdeckung durch Konstantins Mutter Helena im Jahr 325 in Jerusalem bis zu seinem Fund in einer Bleischatulle im Jahr 1492 in einer Kirche in Rom ist nichts überliefert.
Die Identifizierung des wahren Kreuzes erfolgte, erinnern wir uns, ausschließlich durch ein Auferweckungswunder. Dies würde ausreichen, um den Titulus in den Bereich der Märchen zu verbannen, zumal ja die Geschichtsschreibung von keiner römischen Praxis weiß, ein Schild über einem Gekreuzigten aufzuhängen. Dennoch hat sich der Mythos als äußerst robust und langlebig erwiesen. So bleibt uns nur eines: weiterzuforschen und die Geheimnisse der Geschichte zu entschlüsseln!
In diesem Lichte betrachtet, könnte der vermeintliche Titulus ein Symbol für die teils unbewusste Konstruktionsweise von historischem Gedächtnis sein – ein Gedächtnis, das sorgfältig gefasst und bewahrt wurde, um sowohl den Glauben als auch die Identität der Gläubigen zu stärken. Einerseits bergen historische Narrative ein großes Potenzial zur Bewahrung von Glaubensüberzeugungen, andererseits können sie durch ihren Verweis auf vermeintlich objektive Tatsachen zur Verwirrung führen. Vor allem, wenn die Politik ins Spiel kommt. Und damit kommen wir zum entscheidenden Punkt – der Wiederentdeckung der Reliquie im Jahr 1492 unter Kardinal Mendoza.
Die Graue Eminenz Spaniens und der Heilige Krieg gegen die Ungläubigen
Für Pedro González de Mendoza war die Kardinalswürde nur der letzte Schritt in einer rasanten politischen und kirchlichen Karriere, die seit seiner Kindheit vorbestimmt war.[67] Zunächst wurde er zum Bischof von Calahorra und Santo Domingo de la Calzada ernannt. 1473 ernannte ihn Papst Sixtus IV. zum Kardinal von Santa Maria in Dominica, im selben Jahr wurde er Kardinal von Sevilla. Mendozas politische Biographie ist eng mit der Reconquista verbunden. In die Zeit der Rückeroberung des Königreiches Granada fiel der Tod des Erzbischofs der Kathedrale von Toledo. 1482 wurde Mendoza zum Erzbischof von Toledo ernannt, zu einer Zeit, als seine Anwesenheit am Hof erforderlich war. Die Schritte Roms betrafen jedoch nicht nur das Erzbistum Toledo, sondern auch den Tausch des Kardinalstitels der römische Kirche Santa Maria in Domnica gegen Santa Croce in Gerusalemme, was eine grundlegende Veränderung der symbolischen Projektion seines Kardinalsamtes bedeutete. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Sevilla wurde dem Hof gemeldet, dass Mendoza nicht nur zum Erzbischof von Toledo, sondern auch zum Kardinal von Santa Croce (sowie zum Patriarchen von Alexandria) ernannt worden sei. Diese doppelte Wahl war zweifellos perfekt motiviert und strategisch vorbereitet (höchstwahrscheinlich auf Wunsch Mendozas), und ihre Funktion bestand, sich das symbolische Kapital der genannten Basilika in einem besonders heiklen Moment in den Beziehungen des kastilischen Hofes zum Heiligen Stuhl anzueignen.
Von diesem Zeitpunkt an begann eine komplexe, aber triumphale Periode in der Geschichte Kastiliens: die Eroberung des Königreichs Granada, die letzte Episode der Reconquista und die erste, um die moderne konfessionelle Phase zu begründen. Felipe Pereda hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Bedeutung dieser Ereignisse nur erschließt, wenn man sie im Zusammenhang mit der Eroberung von Granada sieht, die die Zurückdrängung der Mauren aus Spanien einleitete.
Der Krieg dauerte genau zehn Jahre, von denen Mendoza die meiste Zeit an vorderster Front kämpfte. In dieser Zeit entfaltete der Kardinal ein äußerst bedeutendes Mäzenatentum, indem er das Jerusalem der Kreuzritter mit dem neuen Kreuzzug in Granada verknüpfte und so das biblische Jerusalem mit dem christlichen Granada verband. Zu diesem Zweck ergriff er eine ganze Reihe symbolischer Maßnahmen, angefangen mit dem persönlichen Zeichen des Kreuzes von Jerusalem oder des Jerusalemer Kreuzes, das er mit seinem Wappen auf allen Stiftungen anbringen ließ, die er in Kastilien einbrachte.
Die römische Basilika Santa Croce wies eine Reihe von Merkmalen auf, die ihren Titel in der damaligen Zeit zu einem begehrten Objekt machten. Die antike Bestimmung der Basilika als Brücke zum christlichen Jerusalem dürfte für Mendoza den Ausschlag gegeben haben, seinen Titel von Santa Maria in Dominica in Santa Croce zu ändern. Aber auch eine andere Tradition spielte eine entscheidende Rolle. Spätestens seit Innozenz III. wurde die päpstliche Unterstützung des Kreuzzuges durch eine Bußwallfahrt von Laien liturgisch inszeniert, die barfuß hinter dem Kreuzesbild herzogen. Nach einem Zwischenstopp in der Laterankirche, wo eine Reliquie aus dem Holz des Gekreuzigten besichtigt wurde, zogen sie weiter nach Santa Croce, wo eine Messe für den glücklichen Ausgang des Kreuzzuges gefeiert wurde. Die von Mendoza beantragte Titeländerung erweist sich somit als ein weiterer Teil einer groß angelegten Operation, den Krieg in Granada als einen neuen Kreuzzug darzustellen. Es ist also kein Zufall, dass die beschriebenen Ereignisse im Jahr 1482 stattfanden, dem Jahr, in dem Papst Sixtus IV. den Katholischen Königen die Heilige Kreuzzugsbulle erteilte. Bei der religiösen Durchsetzung des Bildes von der Reconquista als Heiligem Krieg kann die symbolische Bedeutung des Kreuzes nicht hoch genug eingeschätzt werden: Erzbischof Mendoza sorgte persönlich dafür, dass das Banner mit seinem Zeichen über der Alhambra gehisst wurde, und schließlich wurde dasselbe silberne Kreuz, das auf seinen eigenen Wunsch hin auf dem höchsten Turm der Alhambra angebracht worden war, als diese von den Mauren eingenommen wurde, dem Tabernakel der Kathedrale von Toledo übergeben, um von dort aus die großen Prozessionen anzuführen, die an einen so großen Sieg erinnerten.
Gutes Timing ist alles
Ganz sicher war es kein Zufall, dass just am Tag des Sieges über die Mauren in Granada bei Restaurierungsarbeiten der Basilika Santa Croce die Reliquie der Helena wiederaufgefunden wurde. Mendoza, der übrigens zeitlebens nie in Italien war, hatte bereits 1488 die Restaurierungsarbeiten von Santa Croce in Auftrag gegeben.[68] Die Kontrolle über die Arbeiten hatte Mendozas »rechte Hand« in Rom, sein enger Vertrauter Bernardino López de Carvajal (1456-1523), Protonotar der Katholischen Könige in Rom und nach seinem Tod im Jahr 1494 auch sein Nachfolger als Kardinal von Santa Croce.[69]

Merkwürdig nur, dass der früheste Bericht über den spektakulären Fund erst am 4. Februar verfasst wurde, die anderen sogar noch später. Die Wiederentdeckung des Titulus, die den Anstoß zu dem sakralen Geschäft gab, war zweifellos das Ergebnis einer sorgfältigen historischen Fälschung, aber es war weder die erste noch die einzige römische Reliquie, für die sich Mendoza interessierte. Carvajal, der in Rom ein hohes Ansehen genoss, kam in den Besitz einer ganzen Reihe von Reliquien, die er der katholische Königin Isabella zukommen ließ. Carvajal gilt zu Recht als der eigentliche Architekt der Reform der Basilika, aber auch als einer der Verantwortlichen für das Anliegen, das Santa Croce di Gerusalemme als Plattform für die Propaganda der katholischen Monarchie in Rom nutzen sollte. Zwei scheinen diese Propagandastrategie geprägt zu haben: die Renovierung und der Handel mit Reliquien. Der Chronist Raimondo Besozzi berichtet, die gesamte Kirche sei renoviert und die Dächer des Mittelschiffs und des Querschiffs sowie des Presbyteriums, der Tribüne und des Chorgestühls verändert und an verschiedenen Stellen des Gebäudes das Wappen Mendozas angebracht worden, das noch Mitte des 18. Jahrhunderts noch zu sehen war.[70]
Der historische Kontext macht es praktisch unbestreitbar, dass der angebliche römische Fund in Wirklichkeit Teil einer Kampagne war, um den »Heiligen Krieg« gegen den Islam zu feiern, indem man eine Reliquie aus der Zeit der heiligen Helena für heilig erklärte. Zu diesem Zweck wurde die Reliquie aus der Nische entfernt, in der sie sich – und auch das wissen wir nur von einem römischen Kleriker! – bis dahin befunden hatte. Kardinal Mendoza gab die Anfertigung eines silbernen Reliquiars in Auftrag, auf dessen Sockel sein Wappen eingraviert wurde. Die Rückseite zeigt eine biblische Szene: Jesu‘ Einzug in Jerusalem. Dies geht aus seinem Testament hervor, in dem auch erwähnt wird, dass die von ihm in Auftrag gegebenen Arbeiten in der Hauptkapelle der Basilika bereits im Gange, aber noch nicht abgeschlossen waren.[71]

Am 2. Januar 1492 war die letzte Festung der Mauren in Spanien an die vereinigten spanischen Streitkräfte von Aragon und Kastilien gefallen. Die Nachricht erreichte Rom allerdings erst einen Monat später. Der nächste Schritt in der Projektion von Santa Croce, die von Mendozas Nachfolger im Besitz der Basilika durchgeführt wurde, bestand darin, die Idee zu verbreiten, dass dieser einzigartige Fund nicht zu dem Zeitpunkt gemacht wurde, als die Nachricht eintraf, sondern am selben Tag, als Granada fiel.[72] Der offensichtlich Verantwortliche für das »Aufspüren« dieser symbolträchtigen Koinzidenz war Carvajal. „Die Nachricht von der Einnahme des Königreichs Granada teilte König Fernando durch einen Brief vom 2. Februar 1492, also in der Woche der Auffindung, Papst Innozenz VIII. persönlich mit. Leonardo Sarzanese geht in seinem Brief explizit hierauf – und auf die annähernde Gleichzeitigkeit der Ereignisse – ein und stellt die Auffindung des Titulus und den Sieg in Granada auf eine Ebene.“[73]
Man kann hier also getrost von Fake News des 15. Jahrhunderts ausgehen.[74] Denn ebenso, wie es die Funktion der »inventio crucis« in der Helena-Legenda war, „eine Verbindung zwischen der Auffindung des Kreuzes und dem kaiserlichen Hof herzustellen“, so diente hier die »Wiederentdeckung« der Titulus-Reliquie, exakt auf den 1. Februar 1492 datiert, dazu, in Rom der Nachricht vom spanischen Sieg noch mehr Glanz zu verleihen. Im Falle des Titulus war das »Eintreten« dieses wundersamen Ereignisses ganz und gar eine Frage der internationalen Politik, und seine Anerkennung als echt konnte sich auf ein dichtes Netz von Geschichten stützen, die mit dem Ort Santa Croce in Verbindung standen. Da auch die Gelehrtenwelt jener Zeit bestens vernetzt war, verbreitete sich die Nachricht vom Fund des Titulus in bemerkenswert kurzer Zeit in ganz Europa. Die Entdeckung führte zu einer erneuten Auseinandersetzung mit der Ikonografie des wahren Kreuzes, sowohl in Bezug auf die Basilika Santa Croce selbst als auch in Venedig, wo der Adlige und Gelehrte der griechischen Sprache, Girolamo Donato, ein Jaspisreliquiar, das heute verloren ist, für ein Fragment des Titulus anfertigen ließ, das Kardinal Mendoza ihm gegeben hatte, und gleichzeitig einen Kreuzaltar in der Kirche Santa Maria dei Servi stiftete.[75]
Ästhetik und Textgestalt des Titulus wurde auch international durch Drucke verbreitet. Einige Holzschnitte, die in Nürnberg gedruckt wurden, sind in einer einzigen Auflage aus dem Jahr 1493 erhalten. Der Nürnberger Gelehrte Hartmann Schedel hat sie in die letzten Seiten seines eigenen Exemplars seiner Weltchronik eingeklebt und so vor der Zerstörung gerettet. Über dem Holzschnitt rechts heißt es: „... ist dits die breyt lenng und grosse von der tafel und gleich alle buchstaben und form als dann in dem pret gegraben sint als ich dann mit meinen augen hab gesehen und es ist vast pos zulesen wann die wurm haben es durchfressen …“[76] Schedel mochte sich vielleicht nicht für eine Druckrichtung entscheiden und bot deshalb beide Varianten an – und zwar einheitlich für alle drei Sprachen. Aber vermutlich stammten sie bloß aus unterschiedlichen Quellen.

Das starke Interesse des katholischen Herrscherhauses in Spanien zeigt sich schon daran, dass der in der christlichen Archäologie neue dreisprachige und seitenverkehrte titulus crucis sofort auf das Kruzifix im Mittelpunkt des großen Retabel gesetzt wurde, das die Königin Isabel von Gil de Siloé für die Kartause von Miraflores bei Burgos (1496-99) schaffen ließ.[77] Zwar gibt es eine Fülle von Beispielen für die Verbreitung des Akronyms INRI in der italienischen und außeritalienischen bildenden Kunst des 15. Jahrhunderts, doch viel seltener sind Bildwerke mit dem dreisprachigen Text des Titulus, wie etwa ein Fresko in S. Maria Antigua aus dem 8. Jahrhundert.[78] Auf die Geschichte der Malerei Italiens hat sich der Reliquienfund von 1492 nur begrenzt ausgewirkt. Nur wenige Künstler, darunter Luca Signorelli, teilten die Begeisterung des jungen Michelangelo, der ein paar Monate nach dem Ereignis ein von ihm geschnitztes hölzernes Kruzifixus mit einer Schrifttafel versah, die die römische Reliquie nachahmte und den Text vervollständigte
Das starke Interesse des katholischen Herrscherhauses in Spanien zeigt sich schon daran, dass der in der christlichen Archäologie neue dreisprachige und seitenverkehrte titulus crucis sofort auf das Kruzifix im Mittelpunkt des großen Retabel gesetzt wurde, das die Königin Isabel von Gil de Siloe für die Kartause von Miraflores bei Burgos (1496-99) schaffen ließ.[2] Zwar gibt es eine Fülle von Beispielen für die Verbreitung des Akronyms INRI in der italienischen und außeritalienischen bildenden Kunst des 15. Jahrhunderts, doch viel seltener sind Bildwerke mit dem dreisprachigen Text des Titulus, wie etwa ein Fresko in S. Maria Antigua aus dem 8. Jahrhundert.[3] Auf die Geschichte der Malerei Italiens hat sich der Reliquienfund von 1492 nur begrenzt ausgewirkt. Nur wenige Künstler, darunter Luca Signorelli, teilten die Begeisterung des jungen Michelangelo, der ein paar Monate nach dem Ereignis ein von ihm geschnitztes hölzernes Kruzifixus mit einer Schrifttafel versah, die die römische Reliquie nachahmte und den Text vervollständigte.

Michelangelo behielt die Spiegelschrift des Fundes bei, Signorelli dagegen passte bald darauf die Schriftrichtung an und gab damit für Nachahmer die Blaupause ab. So hatte es bereits etwa 50 Jahre zuvor Fra Angelico bei seinem imposanten, 550 x 950 cm großen Fresko Kreuzigung mit Heiligen (ca. 1442) an der Nordwand des Kapitelsaals desselben Klosters San Marco gehalten.

Über dem Gekreuzigten ist der dreizeilige Titulus zu sehen, und auch nicht spiegelverkehrt, sondern korrekt geschrieben. So auch beim Altarbild Die Kreuzabnahme des Meisters vom Bartholomäus-Altar in Köln (zwischen (1480 u. 1510), das heute im Louvre hängt. Auch eines der vermutlich ältesten Zeugnisse christlicher Ikonographie in der Theodotus-Kapelle der Kirche Santa Maria Antiqua (erbaut Mitte 6. Jh. AD) am Forum Romanum, ein Fresko aus der Mitte des 8. Jahrhunderts, zeigt Jesus am Kreuz, Maria und Johannes sowie Longinus (mit Lanze) und Stephaton (mit Essigschwamm). Und darüber einen Titulus, wie er 1492 »wiedergefunden« wurde, abgekürzt und unfragmentiert, in der Reihenfolge Latein, Griechisch, Hebräisch – nur nicht in Spiegelschrift.[79]

Es würde hier zu weit führen, auf die Diskussion über die Varianten der Schreibweisen einzugehen, da die Transkriptionsversuche mitunter weit voneinander abwichen.[80] „Anscheinend zirkilierten in den ersten christlichen Jahrhunderten und bis ins zwölfte Jahrhundert hinein die unterschiedlichen gelehrten Ansichten über den Titel des Heiligen Kreuzes nur in einer literarischen ‚In-Group‘ von Bibelgelehrten, aus der sie nie hervortraten, um in die ikonografischen Konzepte von Künstlern aufgenommen zu werden.“[81] Bevor sich die Humanisten dem Studium des Hebräischen zuwandten, dominierte in den meisten bildnerischen Darstellung des hebräischen Textes ein epigraphisches Kauderwelsch, das entfernt an Hebräisch erinnern sollte – „a substitute Hebrew that is apparently gibberish“[82]. Ganz typisch dafür ist ein illuminierter belgischer Psalter aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. Auf der Miniatur einer Kreuzabnahme ist ein großer Titulus zu sehen, der von den griechischen Buchstaben Alpha und Omega flankiert wird. Die Inschrift „Ihesus nazaren. rex iudaeoru.“ ist in Griechisch und Latein geschrieben, und in angelsächsischen Runen anstelle von Hebräisch. Unmittelbar links neben jeder Zeile finden sich die Initialen G, L und B. Sie stehen für Graece, Latine und Barbarice und weisen auf die drei verschiedenen verwendeten Sprachen hin.[83]

Barbarisch also! Nicht gerade die Wertschätzung, die man erwarten sollte, wenn tatsächlich dieser Sprache zu Ehren auch der griechische und der lateinische Text seitenverkehrt in das Pilatus-Schild eingraviert worden wäre. Im allgemeinen Bewusstsein wurde der Titulus jedenfalls auch nach 1492 nicht zur Passionsreliquie, sondern blieb in erster Linie eine Reminiszenz an die Heiligen Schrift.[84]
Nach dem Tod Mendozas ließ Carvajal ein Kachelfries mit einer Inschrift in valencianischen Keramikbuchstaben im Treppengang zur Helena-Kapelle anbringen, in der er sich nicht nur die Restaurierung der Basilika würdigen ließ, sondern auch die spanische Umgestaltung in den Kontext der Vorsehung stellte, die das wundersamen Zusammentreffen der Entdeckung des Titulus und des Falls von Granada bewirkt habe.[85]
Ein spätmittelalterliches Artefakt

Wie beim Grabtuch von Turin (datiert 1260-1390) und dem Sudarium von Oviedo (datiert 642-869) ergab die Radiocarbon-Analyse des Titulus-Holzes ein Alter, das nicht dem entspricht, das die Reliquie hätte haben sollen. Zwischen 1995 und 1997 wurden von der australischen Nuklearforschungsorganisation Analysen an drei Proben durchgeführt, die unterschiedliche Datierungen ergaben: 690-865, 722-928 und 908-994.[86] Azzi & Bella kamen mit einem optimierten Verfahren im Jahr 2002 zu präziseren Ergebnissen; in diesem Fall lauteten die Daten 996-1023 und 980-1146.[87]
1997 wurde die Tafel von Elio Corona, Professor für Holztechnologie und Präsident des Istituto Italiano di Dendrocronologia, einer Analyse unterzogen.[88] Die mikroskopische Untersuchung identifizierte die Holzart als Juglans regia, die Mittelmeer-Walnuss. Corona stellte fest, dass „die derzeitige unregelmäßige Form auf biotische und abiotische Angriffe zurückzuführen ist, denen das Artefakt im Laufe der Jahrhunderte offensichtlich ausgesetzt war. Die Tafel muss daher in Umgebungen aufbewahrt worden sein, die sich im Laufe der Zeit verändert haben, sowohl weil die sichtbaren Gewebe in vielen Bereichen photochemische Oberflächenreaktionen aufweisen, als auch weil der Holzkörper neben tiefen Spuren früherer Befall durch Holzschädlinge Veränderungen aufweist, die durch thermohygrometrische Veränderungen und Manipulationen hervorgerufen wurden.“[89] Da die Tafel anscheinend Feuchtigkeit, Insekten- und Pilzbefall ausgesetzt war, ist demnach stark zu bezweifeln, dass der Titulus jahrhundertelang unberührt in einer Bleischatulle in der Decke der Basilika eingemauert war. Maria Luisa Rigato bemerkte zudem noch, dass sich „auf der Schriftfläche (…) kristallisierte bläuliche Flecken“ befinden, die es weder auf der „glatten“ Rückseite noch den Seitenflächen gibt, die allerdings auch keinerlei Gravuren aufweisen.
Ein neuartiges Verfahren zur Partikelbestimmung mittels Röntgenstrahlen von Lucarelli & Mandò könnte sich hier als hilfreich erweisen. „Die beträchtlichen Mengen an Eisen sind schwer zu erklären, außer durch das Vorhandensein eines anderen Pigments auf Eisenbasis, das dem Blau beigemischt ist. Dasselbe gilt für die Spuren von Zink und Quecksilber, die im Übrigen nur in einer begrenzten Anzahl von Farbpunkten zu finden sind. Ein scheinbarer Schwachpunkt in der Hypothese des Vorhandenseins von Lapislazuli ist die Tatsache, dass keine nennenswerten Mengen an Natrium nachgewiesen wurden. Letztere Tatsache könnte jedoch auf das Aufsaugen des Holzes durch das Pigment zurückzuführen sein, was durchaus plausibel ist: In diesem Fall könnte die Röntgenabsorption von Natrium im Holz den Nichtnachweis dieses Elements weitgehend rechtfertigen“.[90] Salvatore Lorusso, Professor für Restaurierungschemie schloss daher im Jahr 2002 definitiv aus, dass ein normaler Handwerker, der die Tafel graviert hat, sie selbst mit einer damals seltenen und sehr teuren Farbe verziert hat. Solche kostspieligen Verzierungen seien nur bedeutenden Werken vorbehalten gewesen oder wurden allenfalls von einer wohlhabenden Kundschaft nachgefragt.[91]
Da zum Zeitpunkt der Entdeckung weder Leonardo da Sarzana noch Johannes Burckard diese bläulichen Flecken auf dem Titel bemerkten – erst 1830 berichtete davon der Zisterzienser Leandro de Corrieri in seinem Kommentar zu den wichtigsten sessorianischen Reliquien -, muss man wohl davon ausgehen, dass die Farbe 1492 vor dem Einsetzen der Tafel in den Reliquienschrein hinzugefügt wurde, um die Lesbarkeit der Buchstaben zu verbessern, während das Imprägniermittel auf der Basis von Harzen und ätherischen Ölen zum Schutz des Holzes aufgetragen worden sein könnte. Und vielleicht haben gerade diese Eingriffe dazu beigetragen, die Kohlenstoff-14-Analyse zu verfälschen, vielleicht sogar zu „verjüngen“, so dass damit die Möglichkeit einer Fälschung erst im 15. Jahrhundert nicht auszuschließen ist.
Die Fälscher waren jedenfalls klug genug, ihre eigene Unkenntnis des Hebräischen zu verschleiern, indem sie die oberste Textzeile horizontal durchschnitten und nur ein paar fast bedeutungslose Striche übrig ließen, die nur von einem verständigen Betrachter mit viel Phantasie und gutem Willen als guter hebräischer Text rekonstruiert werden konnten. Obwohl auch die lateinischen und griechischen Texte auf dem Titulus von den biblischen Texten abweichen, haben die Fälscher keine schwerwiegenden sprachlichen Fehler begangen. Geistliche und Handwerker des 12. Jahrhunderts waren sicherlich zu solch einer raffinierten Fälschung fähig. „Man fühlt sich an die hervorragenden Fälschungen einer Reihe beschrifteter Tontafeln aus dem 11. Jahrhundert erinnert, die veraltete Buchstabenformen aufwiesen und die den Anspruch des Bischofs von Regensburg auf den Besitz der echten Reliquien des Heiligen Dionysius untermauerten.“[92]
Pilgerzeichen – die Heiligtümer der Wallfahrer
Als ich noch ein Kind war, war ich oft mit meinen Eltern auf Wandertouren unterwegs, üblicherweise mit einem hölzernen Wanderstock. Denn an Sehenswürdigkeiten konnte man in Souvenirläden bunte Blechabzeichen kaufen, die gesammelt oder an den Stock genagelt wurden – eine Tradition, die bis ins Spätmittelalter zurückgeht. Für viele waren Pilgerfahrten ein Akt der Buße, und manchmal wurden sie von der Kirche für Vergehen angeordnet. Je größer die Entfernung zum Ziel – eine staatliche Kathedrale, Rom oder sogar Jerusalem – desto größer war die Sühne, die nötig war, um für die Sünden zu büßen. Ein Nachweis, dass man sich der Strapaze unterzogen hatte, war da höchst willkommen. Doch beileibe nicht jeder Pilger war in der komfortablen Lage des reichen Nürnberger Patrizier Nikolaus Muffel, von dem weiter oben die Rede war. Muffel war ein begeisterter Sammler von Reliquien. In seinem handschriftlichen Pilger-Bericht bedauert er, dass es ihm noch nicht geglückt sei, seine Heiligtümer-Sammlung bis auf die Zahl der Tage im Jahr gebracht zu haben; sie enthalte erst 308 Stück.[93]

„A vernycle hadde he sowed upon his cappe“, heißt es an einer Stelle in Geoffrey Chaucers Canterbury Tales aus dem Jahr 1387. Ein „vernycle“ war das übliche Abzeichen, das Pilger erwarben, die das heiligste Pilgerziel außerhalb von Jerusalem besuchten, den Petersdom in Rom. Das Abzeichen stellt den Schleier der Veronika dar, in den sich das Antlitz Jesu Christi eingeprägt haben soll, nachdem sie sein Gesicht damit abgewischt hatte, während er das Kreuz trug. Das Schweißtuch hing in der Kapelle der heiligen Veronika im Petersdom und wurde zu einem beliebten Pilgerziel. Die Pilgerscharen sammelten einfach alles, um etwas von der Heiligkeit des Ortes mit nach Hause zu bringen. Das konnten Wachstropfen von Kerzen in Heiligtümern, Holzkohleabriebe von Inschriften, Stein-, Holz- und Stoffstücke von heiligen Stätten oder Wasser aus dem Jordan sein. So glaubte man, die segensspendende Kraft der Reliquie einfangen und mitnehmen zu können. Dieses Bedürfnis konnte jedoch auch eine Bedrohung für die Heiligtümer selbst darstellen.
Bereits im frühen zwölften Jahrhundert hatten sich in Europa Pilgerzeichen zu einem wichtigen Wirtschaftszweig für Kirchen, Klöster und Wallfahrtsorte entwickelt. Die beliebten Gegenstände dienten als Beweis dafür, dass man die religiöse Reise zu dem gewählten Wallfahrtsort unternommen hatte, und sie konnten sogar als Passierschein dienen, um den Träger von der Zahlung von Straßensteuern zu befreien und eine sichere Passage auf den Straßen zu erhalten. Das früheste und immer noch ikonische »Pilgerzeichen« war die Jakobsmuschel, die von Pilgern zum Schrein von Santiago de Compostela getragen wurde. Pilgerabzeichen wurden in Massen billig hergestellt, in Formen aus Bronze, Tintenfischbein oder Kalkstein gegossen oder, seltener, durch Stanzen hergestellt. Ihre einfache Reproduzierbarkeit und bescheidenen Herstellungskosten bedeuteten, dass sie für eine breite Masse erschwinglich waren. Im späten Mittelalter wurden dünne Abzeichen aus Edelmetall hergestellt, die perfekt dafür geeignet waren, in Bücher eingenäht zu werden. Es sind Manuskripte erhalten, in denen sich noch Abzeichen befinden, oder Abdrücke auf den Seiten, auf denen sie sich einst befanden. Die beliebtesten Wallfahrtsorte verkauften über 100.000 Abzeichen pro Jahr, was Pilgerabzeichen zum ersten massenproduzierten touristischen Souvenir machte. Im Jahr 1520 verkaufte die Kirche in Regensburg über 120.000 Abzeichen an mittelalterliche Pilger.[94] Als Souvenir verkauft wurde alles, was einen Bezug zum jeweiligen Heiligtum oder einer Reliquie hatte. Mit dem Aufkommen des Druckverfahrens vom Holz erweiterte sich das Spektrum. Für Rom ist das Veronica-Tuch nicht nur als Pilgerabzeichen aus Metall, sondern auch in anderen Formen vielfach überliefert, als Druck auf Leder, Pergament oder Papier.[95]
Die Forschung zu Pilgerzeichen und religiösen Drucken dieser Art ist oft fragmentarisch, da viele dieser ephemeren Objekte nicht erhalten geblieben sind.[96] In Nordeuropa, insbesondere in den Niederlanden und Deutschland, sind Pilgerzeichen aus Metall oder Blei gut dokumentiert, darunter auch solche mit dem titulus crucis. Bekannt sind Pilgerzeichen aus Aachen oder Köln, die den Titulus als Motiv zeigen. Nine Miedema berichtet allerdings auch, dass in Ulm Abbildungen, also Drucke des Kreuzestitulus von Santa Croce verkauft wurden, desgleichen ist die Verbreitung eines Einblattdruck mit dem Kreuzestitulus in Memmingen dokumentiert.[97] „Zweifellos gab es weitere Drucke, die den Titulus reproduzierten, sowie Zeichnungen, die nicht erhalten sind.“[98]Und das bringt uns zurück zu einer in der Forschung bislang ungeklärten Frage: Warum ist der lateinische und griechische Text des Titulus-Fragments von Santa Croce in Spiegelschrift? Ein Problem, das Generationen von Forschern Kopfzerbrechen bereitete und so manchen zu z.T. kuriosen Erklärungen veranlasste.
Das Pilatus-Schild als Giveaway

Kunstwerke haben den Vorteil, dass der Künstler das Wesentliche dadurch hervorheben kann, indem er die Botschaft verdeutlicht, selbst wenn er dabei die Dimensionen des Dargestellten in verzerrter Perspektive erscheinen lässt – so etwa bei Signorellis Kreuzigung mit Magdalena (1494).[99] Mit einer Reliquie, die materialiter vorhanden ist, geht das natürlich nicht. Maria Luisa Rigato hat den Titulus erstmals genau vermessen. Nach ihren Berechnungen lauten die Abmessungen in Zentimetern wie folgt: Breite 23,7; Breite der Oberseite 25,7; Breite der Mittelseite 26,0; Breite der Unterseite 25,5; Höhe der linken Seite 14,3; Höhe der Mittelseite 14,5; Höhe der rechten Seite 14,3; Dicke der Oberseite 4,0; Dicke der Unterseite 4,7.11 Das Gewicht betrug 687 Gramm, das sich nach der Entnahme der Proben für die wissenschaftliche Untersuchung auf 678 Gramm verminderte. Sie stellte auch fest, dass „alle griechischen und lateinischen Buchstaben, einschließlich des ersten hebräischen ‚m‘ aus der sichtbaren oberen Gravur, im Durchschnitt 2,5 cm hoch sind; das lateinische ‚r‘ auf der linken Seite 3 cm.“ [100]

Ein ziemlich lädiertes Stück Holz von der Größe eines Frühstücksbrettchens mit gerade mal 2,5 bis max. 3 cm hohen Schriftzeichen! Diese Abmessungen und auch die Größe des Titulus sind kaum mit der Funktion vereinbar, die die Tafel ursprünglich erfüllen sollte, nämlich dem Augenzeugen das Lesen der Worte über dem Gekreuzigten zu ermöglichen. Die geringe Zeilenhöhe passt überhaupt nicht zur Position, die der Titulus gehabt haben müsste, mindestens einige Meter vom Boden und von den Augen der Betrachter entfernt.
Wenn man also inzwischen ausschließen kann, dass es sich um ein Relikt aus antiker Zeit handelt, dann halte ich es für wahrscheinlicher, dass das Holztafelfragment des »Original«-Titulus in Wirklichkeit nur ein stark beschädigter Druckstock ist. Der sog. Zeugdruck stammt aus dem alten Orient und gelangte zur Zeit der Kreuzzüge nach Europa. Bei diesem Druckverfahren, dass z.T. bis heute zur Musterung von Textilien verwendet wird, graviert man das Muster in eine Holzplatte, die so entstehenden Modeln werden eingefärbt und auf den straff gespannten Stoff gesetzt, der händisch mit einem Griffbrettchen gegen den Model gedrückt und angerieben wird.[101] Bis zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern wurde vom Holzstock gedruckt. Für jede neue Seite musste eine neue Druckform hergestellt werden, in der Regel ein eingeschnittener Holzblock. Bei diesem Verfahren wurden Schrift oder Bilder seitenverkehrt in die hölzerne Druckplatte gestochen, Farbe in die Vertiefungen gepresst und anschließend die Oberfläche gereinigt.[102] Abzüge vom Holzstock erhielt man im Reibedruckverfahren, bei dem die Drucke nicht mittels einer Presse, sondern durch Abreiben entstanden, was nur einseitige Abzüge erlaubte. Auf diese Weise nutzten sich die Holztafeln auch sehr schnell ab.
Einzig Leonardo da Sarzana, der sich offenbar mit hölzernen Druckstöcken in einer Druckerei auskannte, scheint auch auf diese Idee gekommen zu sein: Er nahm an, dass die Schrift auf der Tafel deshalb von rechts nach links verlief, weil der Text für das Druckverfahren seitenverkehrt sein muss. Dementsprechend maß er der Schreibrichtung keine Bedeutung bei, auch wenn er einräumte, dass sie für das Hebräische normal sei. Er betrachtete sie vielmehr als ein Artefakt des Prozesses, der den Titulus hervorgebracht hatte. Da er das lädierte Holz aber für das antike Original hielt[103], vermochte er sich dies offenbar nur so erklären, dass der römische Statthalter von Judäa eine vergessene frühe Form der Drucktechnologie seiner Zeit benutzt hatte, um den Titulus herzustellen.[104]
Für eine Druckplatte spricht auch, dass die Maserung der Vorderseite nicht längs, sondern quer zum Text verläuft. Das war üblich. In der Regel wurden solche Platten aus zwei Holzschichten zusammengeleimt, wobei die untere Schicht längs gemasert war, um dem Ganzen mehr Festigkeit zu verleihen und zu verhindern, dass sich das Holz verzieht. Die Oberfläche wurde geweißt, damit die eingeschnittene Spiegelschrift beim Einpressen der Tinte in die Vertiefungen besser zu erkennen war.
Italien, besonders Venedig, war ein Zentrum des frühen Buchdrucks und der Produktion religiöser Drucke. Drucker wie Bernardino Benali oder Matteo di Codecà produzierten zahlreiche religiöse Einblattdrucke, die an Pilger verkauft wurden. Auch in Rom, wo der titulus crucis als Reliquie in der Wallfahrtskirche in Santa Croce in Gerusalemme verehrt wurde, könnten Pilgerdrucke mit diesem Motiv entstanden sein. Denn die Pilger lechzten geradezu nach Giveaways, die man käuflich erwerben und nach Hause tragen konnte. Die Größe und Form der Titulus-Reliquie prädestiniert diese geradezu, in unversehrtem Zustand einst als Druckstock für den Einblattdruck eines Pilgerzeichens gedient zu haben. Damit wäre dann zugleich auch das Rätsel gelöst, warum die Schriftrichtung des Titulus seitenverkehrt verläuft. Kirchen und Klöster haben sich bei der Produktion von Reliquien schon seit dem frühen Mittelalter als ebenso erfindungsreich wie skrupellos erwiesen, wenn es dem Selbsterhalt und der Prosperität diente. In diesem Fall aber kann dies ungeachtet des Holzalters nicht bereits im 12. Jahrhundert geschehen sein, denn die Verwendung von Papier, das lange Zeit aus Lumpen hergestellt wurde, ist frühestens ab 1223 in Venedig nachgewiesen. Papiermühlen wurden verstärkt erst im 14. Jahrhundert gegründet, als die Buchproduktion in größeren Stückzahlen Fahrt aufnahm.[105] Das spräche dafür, dass sich das Druckplatten-Fragment des Titulus vielleicht in irgendeiner Abstellkammer vergessen verrottete, was die Befunde Elio Coronas erklären würde – aber ganz sicher nicht geschützt in einer versiegelten Bleischatulle seit dem 12. Jahrhundert eingemauert war. Mein Erklärungsansatz ist zunächst natürlich nur eine Hypothese, ein Indizienbeweis, doch mit Sicherheit nicht weniger plausibel als die zum Teil phantasievoll konstruierten Annahmen, die Historiker und Theologen bisher zur Erklärung der Spiegelschrift des Titulus angeboten haben.
Die vorstehenden Überlegungen zur historischen Authentizität des titulus crucis werfen auch ein Schlaglicht auf die Fragilität religiöser Traditionen und die Art und Weise, wie Geschichte konstruiert wird. Auch wenn die Verehrung heiliger Reliquien im Christentum tief verwurzelt ist, müssen wir uns doch stets fragen, inwieweit solche Objekte wirklich das abbilden, was sie behaupten zu sein. Die diskursive Konstruktion des titulus crucis über die Jahrhunderte, angefangen bei den frühen Pilgererzählungen bis hin zu den kirchlichen Bestätigungen und den späteren spekulativen Zuschreibungen, erweist sich als eine von Anfang an legendenhafte Darstellung. Derartige Missverständnisse entstehen, wenn man von der Funktion solcher historischen Narrative innerhalb der christlichen Historie abstrahiert und sich die Deutung solcher kulturellen Artefakte von antiken oder vermeintlich antiken Textzeugen vorgeben lässt.

Anmerkungen
[1] Obwohl von der katholischen Kirche anerkannt, ist die vielfach angezweifelte Echtheit eher eine Frage des Glaubens. Als gesichert kann nur gelten, dass die Dornenkrone in byzantinischen Quellen des 10. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Verehrung von Reliquien in Konstantinopel erwähnt wird, etwa in De Ceremoniis, einem Werk des byzantinischen Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos (905–959). Sie wurde in der Kapelle der Pharos (einem Teil des Großen Palastes) aufbewahrt. Diese Kapelle war berühmt für ihre Sammlung von Passionsreliquien, zu denen neben der Dornenkrone auch ein Stück des Kreuzes Christi und der Heilige Rock gehörten. Auch die Chronographia des byzantinischen Historikers Michael Psellos beschreibt Mitte des 11. Jahrhundert ihre Verehrung in Konstantinopel. König Ludwig IX. von Frankreich soll die Dornenkrone zusammen mit einem Splitter des Kreuzes im 13. Jahrhundert, irgendwann zwischen 1237 und 1239 von Balduin II. in Konstantinopel erhalten haben.
[2] Michael HESEMANN, Die Jesus-Tafel. Die Entdeckung der Kreuz-Inschrift. Mit einem Vorwort von Carsten Peter Thiede, Freiburg u.a. 1999; Carsten Peter THIEDE & Matthew D’ANCONA, Das Jesus-Fragment. Kaiserin Helena und die Suche nach dem Kreuz, München 2000. Vgl. dazu pars pro toto die aufschlussreiche Kritik von Stefan HEID, Kreuz Christi, Titulus Crucis und das Heilige Grab in neuesten Publikationen. In: FORUM katholische theologie. Jg. 17, 3 (2001), S. 161-170
[3] Girolamo FRANCINO: Le cose marvigilose dell’alma citta’ di Roma. Rom 1588, S. 13
[4] Francino (wie Anm. 3), S. 14
[5] Dieser anonyme Bericht über die Reise einer westeuropäischen Frau in das Heilige Land und die umliegenden Gebiete ist nur noch in einer unvollständigen Handschrift aus dem 11. Jahrhundert erhalten, obwohl im Jahr 1909 elf kurze Zitate aus dem Text in einer Handschrift aus dem 9. Jahrhundert in Toledo auftauchten und im Jahr 2005 zwei weitere Fragmente veröffentlicht wurden. Zusammen mit einigen Werken des Hilarius von Poitiers (De mysteriis und Fragmente eines Hymnars) im Codex Aretinus 405 gebunden, befand es sich einst in der berühmten Bibliothek des Benediktinerklosters Monte Cassino, bevor es nach 1532 in die Bibliothek der Pia Fraternità dei Laici in Arezzo gelangte. Die jüngste englische Übersetzung erschien 2018: Anne MCGOWAN & Paul BRADSHAW, The Pilgrimage of Egeria. A New Translation of the Itinerarium Egeriae with Introduction and Commentary, Collegeville (Minnesota) 2018; vgl. auch Víctor PARRA-GUINALDO, Itinerarium Egeriae: A Retrospective Look and Preliminary Study of a New Approach to the Issue of Authorship-provenance. In: Linguistics and Literature Studies 7, 1 (2019); Oded IRSHAI, The Christian Appropriation of Jerusalem in the Fourth Century: The Case of the Bordeaux Pilgrim. In: Jewish Quarterly Review, Volume 99, Number 4, Fall 2009, S. 465-486;
[6] „Dort wurde auf Geheiß des Kaisers Konstantin eine Basilika errichtet, das heißt eine Kirche von wundersamer Schönheit, mit seitlichen Reservoirs (exceptoria), aus denen Wasser entnommen wird, und einem dahinter liegenden Bad, in dem Säuglinge gewaschen (getauft) werden.“ (Palestine Pilgrims’ Text Society: Itinary from Bordeaux to Jerusalem. ‘The Bordeaux Pilgrim’ (transl. by Aubrey Stewart), London 1887, S. 24)
[7] Auch wenn sich der Theologe Stefan Heid nach Kräften bemüht, dieses „Schweigen Eusebs“ in ein wissendes Verschweigen umzudeuten. (HEID, Die gute Absicht im Schweigen Eusebs über die Kreuzauffindung. In: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 96 (2001))
[8] Jan Willem DRIJVERS: Cyril Of Jerusalem: Bishop And City. Vigiliae Christianae, Supplements, Band: 72. Leiden u.a. 2004, S. 167f
[9] vgl. Erich CASPAR, Petrus Diaconus und die Monte Cassineser Fälschungen: Ein Beitrag zur Geschichte des Italienischen Geisteslebens im Mittelalter. Berlin 1909 (Reprint 2013)
[10] Wieland CARLS (Hg.), Felix Fabri, Die Sionpilger, Berlin 1999 (Texte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit 39), S. 36
[11] einige solcher „Pilgerfahrten“, die sich wie Reiseberichte in der Ich-Form lesen, dokumentiert Nine R. Miedema, Rompilgerführer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen 2013, Kap. 6.1, S. 401-431
[12] MCGOWAN & BRADSHAW (wie Anm. 5), S. 23
[13] „Was die erhaltenen Handschriften zeigen, ist erstens, dass kein einziger historischer Text, ob römisch, christlich oder frühmittelalterlich, als unveränderliche Einheit betrachtet werden kann. Zweitens konnten alle historischen Schriften so umgestaltet werden, dass sie dem spezifischen Zweck eines bestimmten Autors oder Kompilators in Bezug auf das Publikum oder die Zielgruppen dienten, die dieser im Auge hatte.“ (Rosamond MCKITTERICK, The Audience for Latin Historiography in the Early Middle Ages: Text Transmission and Manuscript Dissemination. In: Anton Scharer & Georg Scheiberreiter (Hg.), Historiographie im frühen Mittelalter, Wien 1994, S. 96-114, Zitat S. 111)
[14] Man verzeihe mir das ausführliche Zitat. Da die zeitliche Verortung des Egeria-Itinariums aber von den meisten Historikern oder Theologen widerspruchslos anerkannt wird, möchte ich plastisch vor Augen führen, wie unwahrscheinlich der ganze Bericht klingt.
[15] MCGOWAN & BRADSHAW (w. Anm. 11), S. 117 (Übersetzung von mir; vollständiger Text s. Seite 29); der lateinische Text ist online hier veröffentlicht: https://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost04/Egeria/ege_it00.html
[16][16] McGowan & Bradshaw (wie Anm. 11); PARRA-GUINALDO (wie Anm. 5), Itinerarium Egeriae: A Retrospective Look and Preliminary Study of a New Approach to the Issue of Authorship-provenance. In: Linguistics and Literature Studies 7, 1 (2019), S. 13-21
[17] Peter DRONKE, Women Writers of the Middle Ages. Cambridge 1984, S. 21
[18] Vlastimil DRBAL, Das andere Bild des byzantinischen Palästinas: Das nicht-christliche Pilgerwesen in Palästina zwischen dem 4. und 7. Jh.. In: Erika Juhász, Byzanz und das Abendland Bd. IV. Budapest 2016, S. 96
[19] Allerdings nicht, um nach dem Heiligen Kreuz zu suchen, denn Eusebius bringt ihre Reise nur mit der Himmelfahrts- und Geburtskirche in Verbindung. Vgl. HEID (wie Anm.7), S. 169
[20] »Quaerit ergo medium lignum. Sed paterat fieri, ur patibula inter se ruina confunderet, casus inverteret. Redit ad evangelii lectionem, invenit, quia in medio patibulo titulus erat: Iesus Nazarenus, rex Iudaeorum. Hinc collecta est series veritatis, titulo crux patuit saluraris. Hoc est, quod petenribus Iudaeis respondit Pilatus: Quod scripsi scripsi, id est: non ea scripsi quae vobis placerent, sed quae aetas futura cognosceret, non vobis scripsi, sed posteritati; propemodum dicens: Habeat Helena, quod Iegat, unde crucem domini recognoscat.« (Ambrosius, De obitu Theodosii. In: Ambrosius. Sancti Ambrosii Opera. Pars Septima, hrsg. von Otto Faller, Wien 1955, S. 369-401, Zitat S. 395
[21] In atrio ipsius basilicae est cubiculum, ubi lignum crucis reconditum est, quem adorauimus et osculauimus. Nam et titulus, qui ad caput Domini positus erat, in quo scriptum est : ‘Hic est rex Iudaeorum’, uidi et in manu mea tenui et osculatus sum. » (zit. Nach Paul GEYER, Itineraria et alia geographica (Corpus Christianorum series Latina. Bd. 175), Turnhout 1965, S. 139 (hier Kap. 20). Ich übersetze hier aus der englischen Übersetzung von Andrew S. Jacobs (https://andrewjacobs.org/translations/piacenzapilgrim.html)
[22] GEYER (wie Anm. 21), Kap. 16
[23] In der frühen Helena-Legende, etwa bei Sokrates Scholastikus, wird der damalige Bischof von Jerusalem als Macarius (auch Makarios, 314 bis 333 n. Chr.) bezeichnet. Quiriacus (auch Cyriacus genannt) taucht erst in mittelalterlichen Versionen der Legende auf. Ein zum Christentum konvertierter Jude namens Quiriacus soll im 4./5. Jahrhundert gelebt haben, war also kein Zeitgenosse Helenas. Seine Verbindung zur Kreuzesgeschichte entstand durch apokryphe Texte und volkstümliche Erzählungen des Mittelalters.
[24] Jacobus de VORAGINE: Legenda Aurea, Kap. Die Legende vom Heiligen Kreuz. Zürich 1986, S. 182f
[25] „It is likely that the Helena legend was first put in writing c. 390 by Gelasius, bishop of Caesarea and metropolitan of the church-province of Palestine, who wrote a continuation of Eusebius’ Church History.“ (DRIJVERS (wie Anm. 8), S. 169-174, Zitat S. 169f
[26] „Aber die Wahrheit ist, dass die meisten dieser angeblichen »alten Schriftsteller« quasi Abschreiber und nicht originäre Autoren sind. Alle schrieben sie von den anderen ab, wie Rufinus und Kyrill vom angeblichen Augustinus, Pseudo-Ambrosius von Philo oder Basilius oder Hilarius von Psalm 118. Justin, obwohl er früher gelebt haben soll, kopiert Theodoret , Theophylakt , Œcumenius, und letztere schreiben bei Chrysostomus ab, usw. (…) sehr oft kühl und sinnentleert, damit andere sie kopieren konnten; denn fast bei allen finden sich die gleichen Inhalte. Es ist daher furchtbar anstrengend, sie zu lesen. (…) Clemens von Alexandria, Eusebius von Cäsarea, Theodoret, Justin sind realiter Herren ein und derselben Büchersammlung; sie zitieren die gleichen Autoren, sie widerlegen die gleichen Geschichten.“ (Jean HARDOUIN, Prolegomena zu einer Kritik der alten Schriften, ins Deutsche übertragen, eingeleitet & kommentiert von Rainer Schmidt. Norderstedt 2021, S. 113ff
[27] Rufinus Hist. Eccl. X, 7-8 (zit. nach HEID (wie Anm. 7), S. 37f); ausführlicher bei DRIJVERS (wie Anm. 31); S. 79f
[28] „περὶ τὸν αὐτὸν τόπον τρεῖς ηὑρέθησαν σταυροί, καὶ χωρὶς ἄλλο ξύλον ἐν τάξει λευκώματος ῥήμασι καὶ γράμμασιν Ἑβραϊκοῖς Ἑλληνικοῖς τε καὶ Ῥωμαϊκοῖς τάδε δηλοῦν· Ἰησοῦς ὁ Ναζωραῖος ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων.“ (Joseph Bidez & Günther Christian Hansen (Hg.), Salaminius Hermias Sozomenus Scr. Eccl., Historia ecclesiastica, II, 1. Berlin 1995, S. 48
[29] DRIJVERS (wie Anm. 8), S. 170f. Letztlich war es aber der römische Staatsmann und Gelehrte Cassiodor (ca. 485-585), der die griechischen Darstellungen der inventio-Sage im lateinischen Westeuropa verbreitete. Seine um 550 verfasste 12-bdg. Historia Tripartita fasste die Kirchengeschichten von Socrates Scholasticus, Soziomenus und Theodoret zusammen und war jahrhundertelang die Hauptquelle zur antiken christlichen im lateinischen Europa.
[30] Gregor ließ die baufällige Anlage des ehemaligen Palastbezirks restaurieren und einen marmornen Ambo aufstellen. Vgl. Peter Cornelius CLAUSSEN, Die Kirchen der Stadt Rom im Mittelalter 1050-1300 A-F. (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie, Bd. 20), Stuttgart 2002, S. 413
[31] Jan Willem DRIJVERS, Helena Augusta. The Mother of Constantine the Great and the Legend of her Finding of the True Cross, Leiden 1991, S. 46
[32] „The attribution to Helena of the discovery of the Cross is late and not based on historical evidence. The name of Helena does not occur in any of the fourth-century sources in which the True Cross is mentioned. It is useful to present a chronological inventory of these sources, since it not only demonstrates the dissemination of relics of the Cross, but also provides evidence that Helena was not initially connected with the Cross and its discovery.” (DRIJVERS (wie Anm. 31), S. 81)
[33] DRIJVERS (wie Anm. 31), S. 183
[34] DRIJVERS (wie Anm. 31), S. 101-102
[35] Sible de BLAAUW, Jerusalem in Rome and the Cult of the Cross. In: Renate L. Colella u.a. (Hg.), Patrum Romanum. Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag. Wiesbaden 1997, S. 60)
[36] Vgl. Gerold Walser (Hg.), Codex Einsidlensis 326. Facsimile, Umschrift, Übersetzung und Kommentar. Stuttgart 1987, S. 181-189; Anna BLENNOW, Wanderers and Wonders. The Medieval Guidebooks to Rome. Part 1. The Einsiedeln manuscript. In: Anna Blennow & Stefano Fogelberg Rota (Hg.), Rome and The Guidebook Tradition. Oldenburg 2019, S. 34-87 (https://doi.org/10.1515/9783110615630-002)
[37] Den frühesten Hinweis auf Helena als Gründerin von S. Croce fand de BLAUUW bei Flavio BIONDO, Roma instaurata 1444-1446, abgedruckt in: Roberto Valentini & Guiseppe Zucchetti (Hg.), Codice topografico della citta di Roma, 4 Bde., Rom 1940-1943, III, S. 953, IV, S. 280). Andere Quellen aus dem 15. Jahrhundert (Pilgerführer) nennen Konstantins Tochter Constantina als Gründerin. Helena als Stifterin der Reliquien der Passion: Stefano Infessura (1492); Bei Stefano INFESSURA, Diario della Città di Roma, ed. Oreste Tommasini. Rom 1890, heißt es auf S. 271: „posita ibi per sanctam Helenam…, tempore quo fuit dicta ecclesia aedificata“. Und in verschiedenen „Indulgentiae“ (Pilgerführern) aus dem 15. Jahrhundert (veröffentlicht in: Nine R. MIEDEMA (wie Anm. 11). Mittelalterliche Versionen der Kreuzfindungsgeschichte, zum Beispiel in den legendaria für das Offizium des Festes der Inventio S. Crucis, erwähnen nie die Überführung von Kreuzreliquien nach Rom durch Konstantin und Helena“ (de BLAAUW (wie Anm. 35, S. 65)
[38] FROLOW (wie Anm. 42), S. 99
[39] Die Art und Weise, wie die Reliquie eingefasst wurde, lässt sich nicht genau bestimmen; nach Sugers Beschreibung zu urteilen, ist es im Übrigen wahrscheinlich, dass ihr Vorhandensein im ursprünglichen Entwurf des Kreuzes nicht vorgesehen war. (FROLOW (wie Anm. 42), S. 329, Nr. 334)
[40] Suger, De Administratione, XXXII, hrsg. von Erwin Panofsky, S. 60-61, zit. nach FROLOW (wie Anm. 42), S. 329 (Nr. 334)
[41] De BLAUUW (wie Anm. 35), S. 73; detailliert aufgeführt bei Nine Robintje MIEDEMA, Die römischen Kirchen im Spätmittelalter nach den »Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae«, Tübingen 2001, S. 129-38
[42] Historische Belege dafür sucht mal allerdings vergeblich. Meist wird Anatole Frolows La relique de la vraie croix. Paris 1961, zitiert. Frolow paraphrasiert in seiner Legenden-Sammlung lediglich eine Passage aus dem religiösen Spätwerk des Architekten Rohault de Fleurys: Der Titulus crucis sei „supra arcum majorem“ in einem kleinen Fenster verborgen gewesen, in einem Bleikasten, eingeschlossen in eine Backsteinmauer, deren Mosaikbuchstaben jedoch nach außen verwiesen, dass die Inschrift dort stand („in parva fenestra, plumbea theca, muro lateritio clausus tamdiu latuerat, musivis tamen litteris ad extra id referentibus, quod illic titulus staret“). (Charles ROHAULT de Fleury, Mémoire sur les instruments de la passion de N.-S. J.-C., Paris 1870, S. 367). Dort ist aber nur die lateinische Mosaikinschrift abgedruckt, die Kardinal Carvajal im 16. Jahrhundert anbringen ließ, um die Nachwelt an den wundersamen Fund der Reliquie im Jahr 1492 zu erinnern. (Frolow (wie Anm. 42), S. 328, Nr. 333)
[43] Irgendwann zwischen 980 und 1146 n. Chr. (Francesco BELLA & Carlo AZZI, 14C dating of the ‘Titulus Crucis’. In: Radiocarbon, 44, 3 (2002), S. 685-689)
[44] Maria-Luisa Rigato sorgte auch für die nötigen Genehmigungen zur Untersuchung der Reliquie, da sie schon zuvor ihre Zweifel an der Echtheit hatte, aber auch nicht ausschließen wollte, dass es sich hier möglicherweise um die Kopie eines verschollenen Originals handelt. Vgl. Maria-Luisa RIGATO, Il titolo della croce di Gesù. Confronto tra i vangeli e la tavoletta-reliquia della basilica Eleniana a Roma. Rom 2005
[45] Saverio GAETO (vgl. Anm. 48) nimmt sogar an, dass die Entdeckung bereits am „27. Januar des Vorjahres stattfand“
[46] INFESSURA (Hg.) (wie Anm. 37), S. 270
[47] Jacopo Gherardi da Volterrano war nicht irgendwer, sondern Mitglied eines Gelehrtenzirkels, dem auch Lorenzo de’ Medici, Angelo Poliziano und Giovanni Pico della Mirandola angehörten.
[48] „Dietro quel mattone un cofanetto di piombo, circondato dal proprio spazio vuoto, suggellato da tre sigilli di ceralacca. Giaceva al centro della parte superiore, sul primo lato del quale [cofanetto], verso il mattone sopradetto, erano state impresse queste lettere di media lunghezza e aventi forma antica: Ecce lignum crucis [Ecco il legno della croce]. Dentro il cofanetto stesso fu posto un certo pezzo di legno, che si presentava estremamente deteriorato e vecchio, da ogni parte non proprio solido e integro, dallo spessore di circa due dita, della lunghezza di un palmo e mezzo, della larghezza di uno. […] Non c’è da dubitare, reverendo padre, essere questo legno un pezzo di quel sacratissimo legno sul quale il nostro Salvatore fu appeso, fissato con chiodi, ed essere questi veramente quei titoli del suo patibolo“ (Leonardo da Sarzana, zit. nach Saverio GAETO: Il Tìtolo della croce dì Gesù. In: Vita Pastorale 1(2009), S. 33f). Das Schreiben ist in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrt, im Kodex 3912, der eine Reihe von Briefen an Volterrano enthält.
[49] GRAFTON & SCHWAB, The Art of Discovery, Kap. IV: The Titulus of the True Cross, 2022, S. 109-161
[50] „Hebraicus brevisque, et sic se habet: ישו נצר מלך idest Ihesus Nazarenus Rex. Graecus sic. ις Ναζaραιρος β idest Ihesus Nazarenus, sed dictio βασιλείς, idest rex, non habet nisi primam literam, idest Vita. Latinus vero sic, et huc usque Ihesus Nazarenus re. rex dictio non est completa quia X litera deest.“ (Leonardo da Sarzana, fol. 43v; zit. nach GRAFTON & SCHWAB (wie Anm. 49), S. 134)
[51] Antonio Agustin, Alveolus (Manuscrito Escurialense S-II-18): „Geben Sie Tinte darauf, damit Sie die Oberfläche gut damit waschen können. (…), reinigen Sie die mit Tinte verschmierte Oberfläche, so dass die Tinte nur in den Vertiefungen der Buchstaben verbleibt“. Zit. nach GRAFTON & SCHWAB, wie (Anm. 49), S.138
[52] „Sed istae litterae sunt aliter scriptae, imo verius (ut videtur) impressae in ligno sic si fuissent impressae cum ferro calido, et proprie stant hoc modo, quia, ut comprehenditur, iuxta stillum Hebreorum retrose scriptae fuerunt, vel quia in ferro impressionis erant rectae, sed imprimendo postea retrose sunt et cetera. IESAS NA ZARENAS RE Grece etc. Hebraice etc.” (abgedruckt in Rigatos Buch Il Titulus Crucis; zit. nach Grafton & Schwab (wie Anm. 49), S. 127)
[53] Burckards Liber notarum, das er von 1483 bis 1506 führte, stellt eine wesentliche Quelle für das Leben am Hof der Päpste der Renaissance dar.
[54] Weder die Bleischatulle noch die drei Siegel scheinen aufbewahrt worden zu sein. Mit dem Bericht Burckhards verliert sich ihre Spur.
[55] “quedam capsa plumbea latere cooperta, cordula circumligata et tribus sigillis, ejusdem tamen impressionis, sigillata, in quibus quidem sigillis scripta erant verba: Gerardus cardinalis Sancte Crucis, et in medio imago quedam medie figure cum capello, in forma rotunda, magnitudinis aliquantulum majoris carlinorum fel. rec. auli pape secundi. In latere vero dictam capsam cooperiente, a parte que ab intus posita fuerat, sculpta erant haec verba: titulus Crucis.” (Enrico Celani (Hg.), Johannes Burckard. Liber notarum ab anno MCCCCLXXXIII ad annum MDVI, Bd. 1, Citta di Castello 1906, S. 340f)
[56] “In capsa vero predicta reposita erat quedam tabula antiquissima, semiconsumpta, lignea, longitudinis unius palmi vel ultra, larga plusquam duarum tertiarum unius palmi, et grossa plusquam duorum digitorum: in qua tabula sculpte erant ordine retrogrado, Yudeorum more, littere hebraice, grece et latine: is. nazarenus re, residuum tituli, videlicet x Ju deorum, deficiebat, et tabula ipsa ab uno capite ostendebat scripturam ac si indivisa fuisset; existimabatur propterea in alia parte ejusdem tabule deficiente, residuum litterarum hujusmodi sculptum fuisse.“ (Burckhard, wie Anm. 55, S. 341)
[57] INFESSURA (wie Anm. 37), S. 270
[58] „(…) et primus versus erat hoc scriptum in litteris latinis; secundus versus litteris graecis; et tertius litteris hebraeis.“ (Infessura (wie Anm. 57), S. 270)
[59] GRAFTON & SCHWAB (wie Anm. 49), S. 116
[60] Vgl. Stefano Infessuras Römisches Tagebuch, übersetzt von Hermann Hefele. Düsseldorf, 1979, S. XIX-XXIV
[61] Vgl. GRAFTON & SCHWAB (wie Anm. 49), S. 133
[62] “Pridie eius diei, quo tantae victoriae nuncius venit, qui fuit ultimus ianuarii, particula illa Crucis, in qua Pontius Pilatus hebraeis, graecis, et la-tinis literis inscribi iusserat: lesus Nazarenus rex judeorum, inventa est Romae in aede sanctae Crucis, ubi a Gerardo quodam Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinali multis ante annis, ut monumenta literarum ibi reperta testantur, condita fuerat.“ (Sigismondo dei Conti da Foligno, Le storie de‘ suoi tempi dal 1475 al 1510, Bd. I, Rom 1883, S. 375); vgl. Anna PONTANI, Note sull’esegesi e l’iconografia del Titulus Crucis, in: Aevum 47 (2003), S. 135- 185, hier: S. 150
[63] “Poi dentro la capseta era quel sanctissimo ligno, quale heri matini avanti disnar io vidi e basai, licet indignus, de che sentevasi tanta refragantia de inextimabile odore e soavita, che maiore non poteria al mondo sentirse.” . In : Maria-Luisa RIGATO, Il Titulus Crucis. In: Roberto Cassanelli and Emilia Stolfi (Hg.), Gerusalemme a Roma. La Basilica di Santa Croce e le reliquie della Passione, Mailand 2012, S. 170; GRAFTON & SCHWAB (wie Anm. 49), S. 126
[64] Nikolaus MUFFEL, Vom Ablass und den heiligen Stätten Roms. Gabriel Tetzel, Reise des Leo von Rosmital – BSB Cgm 1279, Blatt 52; abgedruckt in: Wilhelm Vogt (Hg.): Nikolaus Muffels Beschreibung der Stadt Rom, Tübingen 1876, S. 35
[65] „Item in altari superius in cruce deaurata est titulus Christi, scilicet »Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum«“ (Cod. hist. fol. 459 (Rotulus) der Stuttgarter Landesbibliothek, zit. nach: Bernhard SCHIMMELPFENNIG, Römische Ablaßfälschungen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Fälschungen Mittelalter. internationaler Kongress der Monumenta Germaniae Historica. München (16.-19. September 1986), (MGH Schriften 33), 5 Bde., Hannover 1988, V, 637-658, Zitat S. 653)
[66] „Auch in der Kirche über dem Schwibbogen, in der Wand, befindet sich ein Stück des Titulus »Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum«. In der Nähe befindet sich auch ein großes Holzstück vom Kreuz des Diebes, das rechts vom gekreuzigten Christus hing. Er steht in einem Fenster oberhalb Bogens, so dass man ihn gut sehen kann.“ (Mirabilia Romae. Rom Stephan Planck 20. November MCCCCLXXXIX. Ein römisches Pilgerbuch des 15. Jahrhunderts in deutscher Sprache, mit einer Einleitung von CHR. HÜLSEN, Berlin 1925, zit. nach MIEDEMA (wie Anm. 11), S. 257; vgl. PONTANI (wie Anm. 62), S. 152. Johannes Röll (wie Anm. 73, S. 99), schreibt fälschlicherweise diesen Absatz aus dem Pilgerführer dem handschriftlichen Bericht Muffels zu.
[67] Hier folge ich der Darstellung bei Felipe PEREDA, Pedro González de Mendoza, de Toledo a Roma. El patronazgo de Santa Croce in Gerusalemme. In: Frédéric Lemerle u.a. (Hg.), Les Cardinaux de la Renaissance et la modernité artistique. 2009, S. 217-243
[68] Das geht aus einem Brief vom 21. Mai 1488 hervor, in dem er die Mönche der benachbarten Kartäusergemeinschaft aufforderte, bei der Reparatur und dem Wiederaufbau des domus sanctae Crucis Ierusalem zu helfen. ( E. MÜNTZ, Les arts á la Cour des Papes. Innocence VIII. Alexandre VI. Pie III, Paris, 1898, S. 93)
[69] Carvajal war von 1495 bis zu seinem Tod 1523 Kommendatar-Bischof von Santa Croce di Gerusalemme, d.h. ihm war die Kirche als Pfründe zugesprochen worden. Er wurde in der Kirche bestattet.
[70] Raimondo BESOZZI, La storia della basilica di S. Croce di Gerusalemme, Rom 1750, S. 102
[71] „… e para fazer una caxa o guarimiento de plata dorada al título de la Santísima Cruz de nuestro señor que en de se falló nuevamente e para el reparo de la Capilla Mayor de la dicha iglesia Quinientos ducados de oro en oro …“ [und um eine Schatulle oder einen Reliquienschrein aus vergoldetem Silber für den Titel des Heiligen Kreuzes unseres Herrn anzufertigen, und für seine Erneuerung, und für die Reparatur der Hauptkapelle der besagten Kirche fünfhundert Golddukaten in Gold …] ( Emiliano Garcia Rodriguez, Las Joyas del Cardenal Mendoza y el Tesoro de la Catedral de Toledo In: Boletín de la Real Academia de Bellas Artes y Ciencias Históricas de Toledo, Bd. XIX-XXI, 1940-1942, S. 27 (zit. nach PEREDA (wie Anm. 67))
[72] Bekanntlich auch der Startschuss für die Vertreibung der Juden aus dem nun katholischen Spanien.
[73] Johannes RÖLL, Bemerkungen zum Titulus Crucis in Santa Croce in Gerusalemme in Rom. In: Thomas Weigel u.a. (Hg.), Die Virtus in Kunst und Kunsttheorie der italienischen Renaissance. Münster 2014, S. 93-110, Zitat S. 99
[74] „The rediscovery of the Titulus was a pure publicity stunt, since Mendoza knew exactly where to find the relic; or rather, his agents in Rome knew where to find it (…)”. (WOOD & NAGEL (wie. Anm. ), S. 219)
[75] Der Altar war mit Reliefs von Andrea Riccio verziert, die die Auffindung des Kreuzes, den Beweis seiner Echtheit, Konstantins Vision des Kreuzes und Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke darstellten. (Christopher S. Wood & Alexander Nagel, Anachronic Renaissance. New York 2010, S. 224)
[76] Hartmann SCHEDEL, Registrum huius operis libri cronicarum cu Figuris et ymagibus ab inicio mudi, Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 287, Bl. 750/752 (https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00034024?page=750,751&q=Titulus). Die beiden Holzschnitte geben allerdings unterschiedliche Informationen über die Beschriftung des Titulus-Relikts und scheinen daher aus unterschiedlichen Quellen zu stammen, möglicherweise Zeichnungen, die aus Rom mitgebracht oder dorthin geschickt wurden.
[77] Detailliert dazu RÖLL (wie Anm. 73)
[78] „It seems that in the first Christian centuries and indeed until the twelfth century, various learned ideas on the title of the Holy Cross circulated only in a literary »in-group« of Biblical scholars, from which they never emerged to be included in artists‘ iconographic schemes.” (Longland, Sabrina, „Pilate Answered: What I Have Written I Have Written“. In: The Metropolitan Museum of Art Bulletin, Juni 1968, S. 410-429, Zitat S. 416)
[79] Alle genannten Gemälde im Anhang. Weitere Beispiele für die Verwendung des dreizeiligen Titulus bei WOOD & NAGEL (wie Anm. 75), S. 226 ff
[80] Näheres dazu bei LONGLAND (wie Anm. 78); PONTANI (wie Anm. 62); Maria Louisa RIGATO (wie Anm. 44), Antonio LOMBATTI, The Relics of Jesus: The Case of the Titulus Crucis. In: Bible and Interpretation, Febr. 2014
[81] „It seems that in the first Christian centuries and indeed until the twelfth century, various learned ideas on the title of the Holy Cross circulated only in a literary ‘in-group’ of Biblical scholars, from which they never emerged to be included in artists‘ iconographic schemes.“ (LONGLAND (wie Anm. 78), S. 416)
[82] LONGLAND (wie Anm. 78), S. 42078
[83] Psalter aus Hastières, Mitte 11. Jahrhundert. Bayerische Staatsbibliothek München, MS Clm 13067, fol 17v (https://api.digitale-sammlungen.de/iiif/presentation/v2/bsb00042781/manifest); vgl. LONGLAND (wie Anm. 78), ebd.
[84] David GANZ, Quod scripsi scripsi. Der Titulus crucis zwischen Schrift- und Körperbild In: Boris Roman Gibhardt, Johannes Grave (Hg.), Schrift im Bild. Rezeptionsästhetische Perspektiven auf Text-Bild-Relationen in den Künsten, (Ästhetische Eigenzeiten, Bd. 10), Hannover 2018, S. 187
[85] Das Fresko wird in der Regel in die Jahre 1492-1495 datiert, also in die Zeit nach der Auffindung des Titulus und vor dem Tod Kardinal Mendozas. Vgl. z.B. Christa GARDNER VON TEUFFEL, Light on the Cross. Kardinal Pedro Gonzalez de Mendoza und Antoniazzo Rarnano in Sta. Croce in Gerusalemme, Rom, In: Louisa C. Matthew & Lars R. Jones (Hg.), Coming About– A Festschrift for John Shearman, Cambridge (Mass.) 2001, S. 49-55; F. Cappelletti, L’affresco nel catino absidiale di Santa Croce in Gerusalemme a Roma. La fonte iconografica, la committenza e la datazione. In: Storia dell’arte, 66, 1989, p. 119-126
[86] Saverio Gaeta, Il Tìtolo della croce dì Gesù. In: Vita Pastorale 1 (2009), S. 34
[87] Vgl. AZZI & BELLA (wie Anm. 43)
[88] Elio Corona, Il Titolo. Relazione Tecnologica, Vortrag auf dem Internationalen Kongress Dalla Passione alla Resurrezione: 2000 anni di silenziosa testimonianza an der Päpstlichen Universität Rom vom 6.-8. Mai 1999
[89] Elio Corona, zit. nach Gaeta (wie Anm. 86), S. 34f
[90] vgl. Pier Andrea MANDO & Franco LUCARELLI, Misure di analisi elementale con la tecnica PIXE (Particle-Induced X Ray-Emission) In : Il Frammento Sabatini. Un documento per la storia di San Vincenzo al Volturno, a cura di Gabriella Braga, Roma, Viella, 2003 (Scritture e libri del medioevo, 1), S. 29-34
[91] „Il fatto che l’incisione non appaia come opera di un artigiano particolarmente esperto ed esigente rende poco probabile l’ipotesi
che la tavoletta sia stata incisa e dipinta nello stesso momento o, quanto meno, che sia opera di una stessa mano. 11 fatto, inoltre, che il pigmento usato sia il lapislazzulo, pigmento impiegato fin dall’antichità a tempera, ma assai costoso e, quindi, riservato all’esecuzione di opere di un certo prestigio o, comunque, richiesto da una ricca committenza, fa escludere il suo utilizzo per la decorazione della tavoletta. » [Die Tatsache, dass die Gravur nicht das Werk eines besonders geschickten und anspruchsvollen Handwerkers zu sein scheint, macht die Hypothese, dass die Tafel gleichzeitig graviert und bemalt wurde oder zumindest, dass sie von derselben Hand stammt, unwahrscheinlich. Darüber hinaus schließt die Tatsache, dass es sich bei dem verwendeten Pigment um Lapislazuli handelte, ein seit der Antike in der Temperamalerei verwendetes, aber sehr teures Pigment, das daher der Ausführung von Werken mit einer gewissen Bedeutung vorbehalten war oder jedenfalls von einer wohlhabenden Kundschaft nachgefragt wurde, seine Verwendung für die Verzierung der Tafel aus.] (Lorusso, zit. nach GAETA (wie Anm. 86), S. 35)
[92] WOOD & NAGEL (wie Anm. 75), S. 223f
[93] vgl. VOIGT (wie Anm. 64), S. 4
[94] Larissa Juliet Taylor (Hg), Encyclopedia of Medieval Pilgrimage, Leiden u.a. 2009, S. 522; Sarah BLICK, Bringing Pilgrimage Home: The Production, Iconography, and Domestic Use of Late-Medieval Devotional Objects by Ordinary People. In: Religions 392 10 (2019), S. 1-26
[95] vgl. auch Nine MIEDEMA, Von römischen Ablässen, Einblattdrucken und Holzschnitten. Die Bulle Inter curas multiplices zum Jubeljahr 1500 (GW 906). In: Volker Honemann & Nine Miedema (Hg.), Geistliche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Festgabe für Rudolf Suntrup. Frankfurt am Main u.a. 2013, S. 169-186.
[96] Erst die Sammelleidenschaft des französische Bilderrestaurator Arthur Forgeias (1822–1878), vor allem aber des deutschen Bibliothekars Kurt Köster (1912-1986) haben da zu einem Umdenken geführt. Kösters akribische und auf über 3000 Kleinbildnegativen dokumentierte Sammlung bildete den Grundstock der 25 Jahren bestehenden Pilgerzeichendatenbank, so dass man ihn wohl zu Recht den Nestor der europäischen Pilgerzeichenforschung nennen kann. Nach einer langen Durststrecke hat sich das international mittlerweile gut vernetzte Projekt etabliert und ist heute angesiedelt beim Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Museen zu Berlin.
[97] MIEDEMA (wie Anm. 11), S. 369f, Anm. 89 u. 92
[98] “No doubt there were other prints reproducing the Titulus, as well as drawings, which have not survived.” (WOOD & NAGEL (wie Anm. 75), S. 225
[99] Siehe Anhang
[100] GAETANO (wie Anm. 86), S. 35
[101] Fritz FUNKE, Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches. München 1998, S. 100
[102] Erst später kam das Verfahren des Blockdrucks auf, bei dem in einem wesentlich aufwendigeren Verfahren Text oder Bilder aus einer Holztafel seitenverkehrt so herausgeschnitten, dass die zu druckenden Teile erhaben stehenbleiben.
[103] Dabei hätte allein das Akronym IC (Iesus Christus) ausgereicht, um zu erkennen, dass diese Inschrift unmöglich aus dem 1. Jahrhundert stammen konnte. Denn zu dieser Zeit gab es noch kein entwickeltes Christentum, daher konnte ein Christogramm wie in der bekannten byzantinischen Formel IC XC NI KA ( Ἰησοῦς Χριστὸς νικᾷ / Jesus Christus siegt [über den Tod] noch gar nicht bekannt sein.
[104] SCHWAB & GRAFTON (wie Anm. 49), S. 127
[105] FUNKE (wie Anm. 101), S. 56
