Schule

Subtrahieren endlich verstehen – die Borgetechnik

Die schriftliche Subtraktion – sind Änderungen notwendig?

Das zur Zeit in Deutschland übliche und normierte Verfahren zur schriftlichen Subtraktion geht auf einen KMK-Beschluss von 1958 zurück und wurde 1976 in einem weiteren Beschluss bestätigt. Vorgeschrieben wurde das „Ergänzen“, wobei für den Zehnerübergang die Technik „Erweitern“ oder „Auffüllen“ vorgesehen ist. Dementsprechend werden diese beiden Techniken in den Schulbüchern und im Unterricht behandelt, wobei in einigen Bundesländer sogar die Sprechweise vorgegeben ist (für eine ausführliche Diskussion vgl. Padberg, 1994, Mathematische Unterrichtspraxis, Heft II).

  • Hat sich dieses Verfahren bewährt?
  • Was so lange schon im Unterricht praktiziert wird, muss sich kaum einer Kritik stellen, zu viele Kinder, so sollte man meinen, haben schon davon profitiert.
  • Ist das Ergänzungsverfahren universell, entspricht es dem Denken von Schülerinnen und Schülern?
  • Und wie rechnen andere Länder?

Ein Blick über die Grenzen scheint überraschend (?): In Staaten wie z. B. den USA, England, Türkei, Italien, Spanien, Portugal, Teilen des früheren Jugoslawien und insbesondere in den Staaten China, Japan und Indonesien, die in der TIMS-Studie gut abschnitten, wird statt des Ergänzungsverfahrens das „Abziehverfahren“ praktiziert, und es wird nicht erweitert sondern „geborgt“ (das Auffüllen ist mit dem Abziehen nicht kompatibel).

Was spricht gegen das eine und für das andere Verfahren und die jeweiligen Techniken des Zehnerübertrags?
Ein Argumentation für die Umstellung 1958 war eine Untersuchung des Amerikaners J.T. Johnson, die einen deutlichen Vorteil bei dem Ergänzen kombiniert mit dem Auffüllen ausmacht, gefolgt von dem Ergänzen mit dem Erweitern. Hierbei seien, so Johnson, weniger Fehler und eine schnellere Bearbeitungszeit bei den Schülern festzustellen. Diese Untersuchung hatte den KMK-Beschluss beeinflusst, wenn nicht gar geprägt.

Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass die Untersuchung von Johnson aus dem Jahre 1938 stammt und dass es weitere Untersuchungen gab, so etwa von Brownell aus dem Jahre 1949 und schließlich in Deutschland 1988 von Mosel-Göbel. Diese beiden Studien kommen zu dem Schluss, dass der ehemalige Vorteil des Ergänzungsverfahrens in den nun untersuchten Schülergruppen nicht nachweisbar war. Zudem war der von Johnson postulierte Vorteil lediglich auf ein unverstandenes, rein mechanisches Abarbeiten der Subtraktionsaufgaben zurückzuführen.

Mehrere Punkte müssen bei der Auswahl einer Rechentechnik bedacht werden, die durchaus gesellschaftlichen Wandlungen und Verschiebungen von pädagogischen Prioritäten unterliegen.

a) Können die Kinder das Verfahren und die Technik selbst entdecken/entwickeln?

b) Werden das Verfahren und die Technik verstanden?

c) Lassen sie sich auf neue Situationen und Aufgaben übertragen?

a) Was das Verstehen des Algorithmus betrifft, so ist nach den beiden anderen Untersuchungen das Abziehen mit der Borgetechnik deutlich überlegen. Kinder entdecken dieses Verfahren selbst, da für sie Subtrahieren, Minus-Rechnen mit dem Abziehen verbunden ist. Jeder dritte Schüler, so Mosel-Göbel, entdeckte die Borgetechnik selbstständig, nur jeder sechste Schüler hingegen die Auffülltechnik und die Erweiterungstechnik konnte von keinem der untersuchten Schüler selbst entwickelt werden. Ähnliche Ergebnisse berichtet auch Brownell.
Aus didaktischer Sicht gibt es nur wenige Situationen, aus denen Ergänzen als Subtraktionsverfahren entstehen kann, wobei meist lediglich auf die Geldrückgabe an der Einkaufskasse verwiesen wird. Andere Situationen mit Material legen hingegen eher das Abziehen nahe.

b) Auch hier zeigt sich eine deutliche Überlegenheit der Borgetechnik, die von 80% der Schüler verstanden wurde und begründet werden konnte. Die Auffüll- und Erweiterungstechnik hingegen wurde nur von jedem zehnten Schüler verstanden. Zudem weisen Schülerinnen und Schüler dann eine niedrige Fehlerrate bei den schriftlichen Rechenverfahren auf, wenn sie den Algorithmus verstehen, so dass entsprechend bei der Borgetechnik niedrigere Fehlerraten beobachtet werden.

c) Brownell untersuchte, ob die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, das entwickelte Verfahren selbst auf neue Aufgabentypen zu übertragen, etwa von zweistelligen auf dreistellige Zahlen. Auch in diesem Bereich erwies sich die Borgetechnik als günstiger.

So bleibt als einziger positiver Punkt für das Ergänzungsverfahren die Schnelligkeit. Johnson meinte, dass Kinder mit der Abzieh-Borgetechnik langsamer rechneten, wenn es mit dem automatiseirten, aber unverstandenen Ergänzen verglichen wurde. Zwar wurde dies in den anderen Studien nicht bestätigt, aber selbst wenn es zuträfe, dann ist es im Zeitalter von Taschenrechnern und Computern ein nicht mehr dringendes Lernziel. Zumindest dann nicht, wenn es mit mangelndem Verständnis gekoppelt ist.

Nimmt man die Argumentationspunkte zusammen, dann ist es eher unverständlich, warum der KMK-Beschluss von 1958 noch Bestand hat und Deutschland – als isolierte Insel – weiterhin einem Subtraktionsverfahren anhängt, das in einem offenem, die Selbsttägikeit fördernden Unterricht von den Schülern nicht entdeckt werden kann und in hohem Maße Verständnisprobleme mit sich bringt.

Prof. Dr. Jens Holger Lorenz, Mai 2001

Quelle: grundschule.bildung-rp.de/lernbereiche/mathematik/wissenschaftliche-artikel/schriftliche-subtraktion-lorenz.html

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