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Sankt Augustinus und die Zahnschmerzen

Als Patronin der Zahnschmerzen, pardon: derer, die an den Zähnen leiden (ja, sowas gibt’s!), gilt heute allgemein eine ägyptische Konvertitin zum Christentum – ja, selbstverständlich eine Märtyrerin! Die hl. Apollonia soll im 3. Jahrhundert gelebt haben. Da Apollonias Eltern partout keinen Kinder kriegen konnten und auch das Anflehen der diversen heimischen Götter nicht half, soll sich Apollonias Mutter um die Fürsprache der Gottesmutter Maria direkt bei Jesus bemüht haben. Und wurde natürlich schwanger – mit einer Tochter, die sie dann sinnvollerweise nach dem Gott Apoll benannten: Apollonia. Als das junge Mädchen später von dieser wundersamen Fügung erfuhr, habe sie sich zum Christentum bekehrt.

Das sollte sie noch bereuen! Im letzten Jahr der Herrschaft Kaiser Philippus des Arabers begann in Alexandrien eine Christenverfolgung. Die Gläubigen wurden aus ihren Häusern gezerrt und ermordet, ihr Hab und Gut beschlagnahmt. Detailversessen schildert der heilige Dionysius, wie auch die angesehene Apollonia dem wütenden Mob zum Opfer fiel:

„Sie fingen sie und brachen ihr alle Zähne aus“.

Nach dieser ebenso schmerzhaften wie entwürdigen Prozedur sollte sie, so will es die Legende, den Flammentod auf dem Scheiterhaufen sterben. Der angekündigten Verbrennung kam sie aber dadurch zuvor, dass sie sich selbst ins Feuer stürzte.
Die Märtyrerin, deren Gedenktag der 9. Februar ist, wird auch heute noch oft mit einer Zange in der Hand abgebildet.

Martyrium der hl. Apollonia

War das nun Selbstmord? Diese Frage scheint einige Gemüter derart beschäftigt zu haben, dass kein Geringerer als der heilige Augustinus in seinem Werk Der Gottesstaat dazu eine lange Erklärung abgab. Denn auch wenn er es für unsittlich hielt, sich so einfach umzubringen, so galt ihm der Freitod von Frauen wie der Apollonia als entschuldigt, da aus göttlicher Inspiration hervorgegangen. Aber das war für ihn eine absolute Ausnahme, denn nicht einmal die „Entehrung“ durch eine Vergewaltigung würde so eine Todsünde rechtfertigen. Schließlich müssten sich betroffene Frauen doch immer klar machen:

„Wer ohne Zustimmung Vergewaltigung erleidet, verliert nicht einmal die Heiligkeit des Leibes, viele weniger die der Seele.“

Der Gottesstaat, I, 17

So what! Denn so sind die Männer nun mal: Sie haben sich einfach nicht im Griff, wie er selbst in seinen Bekenntnissen verrät:

„Ich aber war (…) gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach todbringendem Genusse; ich schleppte meine Kette und fürchtete mich, sie zu lösen…“

Bekenntnisse, S. 109f

Das sollte Frauen aber nicht stören, denn in dem, was wir heute als Vergewaltigung bezeichnen würden, sieht Augustinus kein Problem:

„wer könnte da gesunden Sinnes glauben, dass sie die Keuschheit verliere, wenn etwa ihr Fleisch ergriffen und bewältigt und daran eine Lust gebüßt und gesättigt wird, die nicht die ihre ist“.

Der Gottesstaat, I, 18

Und er litt daran, der Arme, und wie er litt! Denn im Grunde wollte er ja immer nur das Eine:

… so tief von der Macht der Wollust gefesselt (…) Keinen von uns zog ja das an, oder nur schwach, was an der Ehe ehrwürdig ist in der Pflicht, den Hausstand zu leiten, Kinder zu zeugen und zu erziehen. Mich, den Gefesselten, quälte größtenteils nur die gewohnte heftige Begier, meine unerforschliche Fleischeslust zu befriedigen¸ jenen zog Neugier zur Fessel. So waren wir, bis du, o Höchster, der du unsere Asche nicht verließest, dich der Elenden erbarmtest …“

Bekenntnisse, S. 110

„Ich aber warf mich am Stamme eines Feigenbaumes nieder und ließ meinen Tränen freien Lauf und der Quell des Auges strömte hervor, ein Opfer, das du gern empfängst, und ich sprach, nicht mit denselben Worten, aber doch in diesem Sinne, vieles zu dir: Du, o Herr, wie so lange? Wie lange, Herr, wirst du zürnen? Sei nicht eingedenk unserer vorigen Missetat. Denn von ihr fühlte ich mich gefesselt und stöhnte laut in kläglichen Jammer. Wie lange? Wie lange? Morgen und immer wieder morgen? Warum nicht jetzt, weshalb setzt nicht diese Stunde meiner Schande ihr Ziel?
So sprach ich und weinte bitterlich in der Zerknirschung meines Herzens.“

Bekenntnisse, S. 156

Wie gut, dass er Trost fand, indem er sich in die Lektüre des hl. Paulus versenkte:

Und so kehrte ich eiligst zu dem Orte zurück, (…) wo ich bei meinem Weggehen die Schriften des Apostels Paulus zurückgelassen hatte. Ich ergriff das Buch, öffnete es und las still für mich den Abschnitt, der mir zuerst in die Augen fiel: Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet an den Herrn Jesum Christum und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde. Ich las nicht weiter, es war wahrlich nicht nötig, denn alsbald am Ende dieser Worte kann das Licht des Friedens über mein Herz und die Nacht des Zweifels entfloh.

ebd.

„Schon war meine Seele frei von den naheliegenden Sorgen des Ehrgeizes und der Gewinnsucht, dass wälzen und Schattens im Schlamm der Lüste; ich lallte wie ein Kind dir entgegen – meiner Klarheit, meinem Reichtum, meinem Heile, Gott, meinem Herrn.“

Bekenntnisse, S. 159

Hätte er das Lallen mal bloß gelassen, denn schon nahte die nächste Plage, denn so einfach wollte es ihm der HErr schließlich nicht machen:

„Wie soll ich alles dessen gedenken, dass in jenen Tagen der Ruhe in mir vorging? Aber ich habe weder vergessen noch will ich verschweigen die Zucht deiner Geißel und die wunderbare Schnelligkeit deines Erbarmens. Damals züchtigtest du mich mit Zahnschmerzen, und da sie so schlimm wurden, dass ich nicht sprechen konnte, kam es in mein Herz, die Anwesenden zu ermahnen, für mich zu dir, dem Gott jeglichen Heils, zu beten. Ich schrieb es auf ein Wachstäfelchen und gab es ihnen, dass sie es lesen sollten. Und als wir das Knie zum Gebet gebeugt hatten, da schwand der Schmerz. Aber welch ein Schmerz und wie schnell verging er? Ich erschrak, offen bekenne ich es dir, mein Herr und mein Gott, denn ähnliches hatte ich seit meiner Jugend nicht erfahren. Und ich erkannte in meines Herzens Tiefe deinen Wink und pries in des Glaubens Freude deinen Namen.“

Bekenntnisse, S. 166

Erst, als die Zahnschmerzen vergingen, war er geläutert und mit sich selbst im Reinen. Und so geht es dann, auch nach seinem ganz persönlichen, tränenreichen Damaskus-Erlebnis im Schatten eines Feigenbaums, in umgekehrter Richtung, nun auf dem rechten und allein seligmachenden Wege, mit vielen Ausrufen weiter. Eine rhetorische Kür, oszillierend zwischen Lamento und Seligpreisung, völlig ichbezogen, in einem oft unsäglichen Schwulst, der nicht nur der etwas altertümlichen Übersetzung geschuldet ist und mir keineswegs einfach nur zeittypisch zu sein scheint.

Denn wenn die Texte tatsächlich aus dem 4. Jahrhundert stammen sollte, was einige Kenner der Materie bezweifeln, so dürfte seinen Zeitgenossen jedenfalls dieser unangenehme Wesenszug des streitbaren Heiligen nicht entgangen sein, seine jeweilige subjektive Befindlichkeit und seine lebensgeschichtlichen Erfahrungen zum Paradigma der Menschheitserfahrung zu machen.

(Alle Zitate aus: Aurelius Augustinus Der Gottesstaat. Übersetzung : C.J.Perl. 3 Bde. Salzburg 1953; Die Bekenntnisse des hl. Augustinus. Übersetzung: Otto F. Lachmann. Leipzig. Reclam 1888)

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