Miscellanea,  Theologie

Sind Frauen in Hosen dem HErrn ein Greuel?

MaryJohn[1]Wenn es auch, bisher zumindest, im orthodoxen Judentum oder auch in Kreisen des christlichen Fundamentalismus nicht zu Vermummungsexzessen wie bei Anhängerinnen des Islam gekommen ist, so ist doch auch bei uns der Trend zu einer weiblich „angemessener“ Kleidung aus religiösen Gründen unverkennbar. Mit dem Erstarken der „Pfingstbewegung“ und anderer fundamentalistisch bis endzeitlich orientierter evangelikalen Strömungen, die vor allem aus den USA zu uns hinüberwogen, etabliert sich neben anderen Fragwürdigkeiten auch eine feste Kleiderordnung, die von den bibeltreuen Christen als gottgewollt empfunden wird.

In der Regel beruft man sich da auf das 4. Buch Mose :

Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel.“  (Deut 22:5)

Einmal ganz davon abgesehen, dass die Orientierung an einer vor Jahrtausenden formulierten Kleiderordnung eines vorderasiatischen Stammes schon recht fragwürdig ist – stimmt das eigentlich so? Denn in dieser Zeit trugen sowohl Frauen als auch Männer lange Gewänder, oder, wenn sie arm waren: cilices – grob gewebte Kleidungsstücke aus Leinen oder Fell. Und Frauen wie Männer trugen oft das Haar lang. Okay, in der Regel hatten Frauen keinen Bart … naja, die meisten nicht!

Aber geht es hier denn tatsächlich um eine geschlechtsspezifische Kleiderordnung? Verlangt „die Bibel“ allen Ernstes, Gott durch geeignete Kleidung zu preisen? Und das geht dann eben nicht in Hosen?

Oder handelt es sich hier schlicht um einen Übersetzungsfehler wie bei Luthers berühmtes „Kamel„, dass eher durch ein Nadelöhr ging, als dass ein Reicher in das Himmelreich kommt? Gemeint war wahrscheinlich ein „Seil„, da die aramäische Wurzel G_M-L (gamla) je nach Kontext „reiten„, „Kamel“ oder auch „Tau“ und „Seil“ bedeuten kann. Das kann beim Übersetzen einer Sprache, die im wesentlichen eine reine Konsonantenschreibweise aufweist (wie auch das Arabische) leicht passieren, wenn man einen Vokal falsch deutet.

Aber zurück zur „Männerkleidung“: Das ursprüngliche hebräische Wort, das im obigen Vers verwendet wird, ist כְלִי (‚keli‘). Im Deutschen sagen wir ‚Zeug‘. Dieses Wort hat eine breite Palette von Bedeutungen und wird allein im Alten Testament mehr als 300 Mal verwendet. Es kann bedeuten: Arbeitswerkzeuge, oft auch Waffen (wie zB Gen 27:3, Deut 1:41, 2Sam 1:27 oder Jes 54:16-17), Jagdwerkzeuge, Gefäße von Keramik oder Bronze (wie in Gen 37,31), Gerätearten, manchmal auch kultische Utensilien (wie in Hes 40:42) oder Musikinstrumente (wie zB in Psalm 71:22).

Im hebräischen Original lautet der gesamte Vers: לֹא – יִהְיֶה כְלִי – גֶבֶר עַל – אִשָּׁה, וְלֹא – יִלְבַּשׁ גֶּבֶר שִׂמְלַת אִשָּׁה: כִּי תוֹעֲבַת יְהוָה אֱלֹהֶיךָ, כָּל – עֹשֵׂה אֵלֶּה.

Hebräisch ist eine sog. RTL-Sprache. Sie wird von rechts nach links (right to left) gelesen, deshalb möchte ich kurz erklären, was Sie hier lesen. Verben werden im Hebräischen oft fallen gelassen, wenn dies den Sinn nicht beeinträchtigt. Die ersten beiden Worte, die wörtlich übersetzt „nicht sein“ bedeuten, lauten übersetzt

Es darf nicht sein, dass עַל – אִשָּׁה („al isha“ – eine Frau) die כְלִי – גֶבֶר („keili-bat“) – eines גֶבֶר (bat) trägt. Das ist nicht nur ein Mann, sondern ein starker oder tapferer Mann, ein Krieger, so dass diese Stelle zu lesen ist als: – „die Ausrüstung eines Kriegers tragen; noch sollte ein Mann die Kleidung einer Frau tragen“. Und daran anschließend heißt es:

עֹשֵׂה אֵלֶּה – כִּי תוֹעֲבַת יְהוָה אֱלֹהֶיךָ –  „weil (יְהוָה אֱלֹהֶיךָ (כִּי („Jahwe Elohim“) – wir kennen die genaue Bedeutung des ersten Wortes JHWH nicht – das letztere ist ein Plural) – sagen wir also: „es dem Herrn der Herren ein Greuel ist, der alles erschaffen hat.“ (כָּל – עֹשֵׂה אֵלֶּה).

Es ist also nicht einfach nur von einem „Mann“ die Rede. Denn ein „Mann“ im AT ist ein איש (ish), wie in der Genesis, wo die Frau (אישה – isha) aus der Rippe des Manns (ish) erschaffen wurde.

Im zweiten Teil des Verses findet man den Ausdruck שׁמלת (shemelat), der „Kleidung“ oder „Gewand“ bedeutet. Hier geht es also gar nicht um den Gegensatz von weiblicher und männlicher Kleidung, sondern vielmehr um das Gegensatzpaar „Kleidung“ vs. „(Aus)Rüstung„. Die Rede ist nicht einfach vom „Mann“, sondern vom גֶבֶר (begged – Arbeitsmann oder Kämpfer). Daher muss man lesen:

Weder sollen Frauen die Arbeitsgeräte eines Mannes tragen, noch sollen die Arbeitsmänner (oder Soldaten) sich wie eine Frau kleiden.“ Würde es wirklich um die Kleidungsordnung gehen, hätte es statt dessen heißen müssen: שׁמלת מאיש (Männerkleidung).

Deshalb übersetzt die frühe King-James-Bibel diesen Vers so:
The woman shall not wear that which pertaineth unto a man, neither shall a man put on a woman’s garment: whosoever doeth these things is an abomination unto the LORD thy God.“

Noch präziser, aber auch nicht eindeutig in der Aussage, war die ursprüngliche Übersetzung Martin Luthers im Jahre 1545:
 „Ein Weib soll nicht Mannsgeräte tragen, und ein Mann soll nicht Weiberkleider antun; denn wer solches tut, der ist dem HErrn, deinem GOtt, ein Greuel.“

Gegen unterschiedliche Kleidung von Mann und Frau ist überhaupt nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil! Wenn ich die hierzulande offerierte eintönige Männermode sehe, da ist die Variationsbreite bei Frauenkleidung doch ein echter Lichtblick! Nur taugt die Bibel, die ja schon für alles Mögliche herhalten musste, hier als Begründung nun wirklich nicht. Das Tragen von Hosen in der Öffentlichkeit ist dem Herrn wohl keineswegs ein Greuel – ganz davon abgesehen, dass dieses Kleidungsstück damals noch gar nicht erfunden worden war. Und ich bezweifle auch, dass die ursprüngliche Bedeutung dieses Bibelverses selbst strenggläubige Frauen daran hindern wird, etwa den Beruf als Lehrerin zu ergreifen oder aufzugeben, nur weil Unterricht in alten Tagen kein Frauenberuf war und deshalb als unziemlich für eine Frau angesehen wurde.

Die Bibel ist ein Buch mit vielen Facetten – voller Widersprüche und tiefer Weisheiten. Ich lese sie immer wieder gern. Nur sollte man beim Lesen nie den gesunden Menschenverstand abschalten.

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