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War Shakespeare eine Frau?
Die Titelfrage ist nicht so absurd, wie sie beim ersten Hören vielleicht klingen mag. Was ist nicht schon alles über Shakespeares Leben spekuliert worden. Es lädt ja geradezu dazu ein, denn da gibt es bekanntlich nur wenige nachprüfbare Fakten. Es sind aber ganz besonders die Frauengestalten in Shakespeares Werk, die daran zweifeln ließen, dass ausgerechnet der Mann, dessen Werk starke, gebildete, ja geradezu protofeministische Frauen bevölkern, seine eigenen Töchter als Analphabeten aufwachsen ließ. Denn genau dies tat der historische William Shakespeare, dessen Frau Anne Hathaway höchstwahrscheinlich ebenfalls nicht lesen und schreiben konnte.
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Nazarener, Nazoräer, Nasiräer – war da noch was?
Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben die sog. Nazoräer die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich gezogen. Man kann sagen, dass diese wissenschaftliche Aufmerksamkeit in keinem Verhältnis zur historischen Bedeutung dieser jüdisch-christlichen Gruppe steht. Denn die Belege für die Existenz einer eigenständigen Gruppierung der Nazoräer sind eher dürftig, was ihren eher exotischen Charakter widerzuspiegeln scheint.
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Papst Leo X. und die „Fabel von Christus“
Eine historische Spurensuche Ginge man nach Arthur Schopenhauer, so hätte der christliche Klerus sich schon immer seines gläubigen Fußvolkes sicher sein können: „Der Arzt sieht den Menschen in seiner ganzen Schwäche. Der Advokat in seiner ganzen Schlechtigkeit; der Priester in seiner ganzen Dummheit.“ Dazu passt das berühmte und hundertfach kolportierte Zitat des Renaissance-Papstes Leo X. (1513-1521): „Wieviel die Fabel von Christus Uns und den Unsern genützt hat, ist bekannt.“ Doch auch wenn viele Leute etwas voneinander abschreiben, verbürgt das noch lange nicht die historische Wahrheit einer Aussage. Ist sie echt, und wenn ja, was genau hat denn der damalige Papst überhaupt gemeint? Hier half mir ein Zufallsfund, eine Diskussion im…
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Newton, der Teufel und die Hexen
„Newtons Schriften zu biblischen Themen erscheinen mir besonders interessant“, schrieb Albert Einstein im September 1940 an den Jerusalemer Gelehrten Abraham Yahuda, „weil sie einen tiefen Einblick in die charakteristischen intellektuellen Merkmale und Arbeitsmethoden dieses bedeutenden Mannes geben."
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Galiläa auf dem Ölberg
Es geht hier um ein Problem, das heute nur noch gelegentlich Theologen, die genau hinsehen, irritiert: Warum bestellt Jesus seine Jünger, zunächst durch den Engel am leeren Grab und dann – entgegen der Vorhersage - auch noch höchstselbst (Mt. 28,9) nach Galiläa? Das ist doch nicht mal so einfach um die Ecke, sondern mehr als 100 km entfernt, der gebir-gige Teil sogar noch weiter. Per pedes also in der kurzen Zeit für die Jünger eigentlich gar nicht zu erreichen! Und woher wissen sie genau, wohin sie gehen sollen? Welcher Berg gemeint ist?
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Nachlese zu Robert Baldauf
Der über lange Zeit völlig vergessene und erst im Rahmen der sog. Chronologiekritik vor einigen Jahren wiederentdeckte Robert Baldauf wurde am 22. April 1881 in Waldenburg (Schweiz) geboren. Über sein Leben und seine akademische Ausbildung wird zwar viel spekuliert, doch an belastbaren Fakten ist wenig bekannt.
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Zur Biographie der hl. Edith Stein
Anmerkungen zu einigen gängigen Topoi „Edith Stein wuchs in einer sehr religiösen jüdischen Familie in Breslau auf.“ Das finde ich so nicht richtig. Edith Stein wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, die schon insofern etwas Besonderes war, als ihr Vater früh verstarb und der Mutter einen Holzhandel und elf Kinder hinterließ, von denen allerdings vier bereits vor der Geburt Ediths verstorben waren. Die Mutter arbeitete von früh bis spät für den Erfolg des Unternehmens, das mehrere Angestellte hatte, und schaffte es so, ihren Kindern ein von finanziellen Sorgen weitgehend freies Leben zu ermöglichen. Edith Steins Mutter verstand sich als konservative deutsche Patriotin, aber mit einer jüdischen Seele, ganz im Sinne…
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An Irish Virgin
Das Book of Kells gehört ganz sicher zu den Zeugnissen der mittelalterlichen Buchkunst, in die man sich so richtig versenken kann. Die folgende subtile Deutung des Bildes der Maria gehört zum Besten, was ich dazu gelesen habe. Im Kommentar zu diesem Blogbeitrag habe ich den Artikel ins Deutsche übersetzt. https://markcalderwood.wordpress.com/2011/09/04/an-irish-virgin/
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Bürokratie, der Krake, der ohne Wasser leben kann
Achse des Guten 30. Juli 2016 Rainer Grell Bürokratie, der Krake, der ohne Wasser leben kann (Teil 1) Eines Morgens, es ist schon eine Weile her, weckte mich mein Radiowecker mit folgender Nachricht: Die Inhaberin einer Würstchenbude in München hat vom Finanzamt einen Umsatzsteuerbescheid über gut zwei Milliarden Euro erhalten. Sie meldete den Irrtum natürlich sofort, aber beim Finanzamt war man nicht so schnell bereit, diesen einzugestehen. Also nahm die Steuerschuldnerin anwaltliche Hilfe in Anspruch. Bei einem Streitwert von rund zwei Milliarden Euro hätte diese – laut Radiomeldung – etwa zwei Millionen Euro gekostet. Indes der Anwalt war bescheiden und wollte sich schon mit 600.000 Euro zufrieden geben. Auch das…
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Girl in a Green Gown: Geschichte und Geheimnis des Arnolfini Portraits
Es gibt Gemälde, die weigern sich einfach, ruhig an der Wand zu bleiben. Die Figuren auf ihnen schlüpfen aus dem Rahmen, lösen sich aus dem stillen, starren Moment des Bildes und verleiten uns dazu, uns die Geschichte ihres Lebens vorzustellen. In Tracy Chevaliers Das Mädchen mit dem Perlenohrring entkommt eines von Vermeers Modellen aus ihrer Gefangenschaft im Gemälde und beginnt – im Film unwiderstehlich verkörpert von Scarlett Johansson – den schüchternen Maler zu necken und mit einer den Betrachter geradezu ansteckenden Sinnlichkeit völlig aus der Fassung zu bringen. Nach dem Mädchen mit der hängenden Träne aus flüssigem Licht, die an ihrem Ohrläppchen baumelt, ist nun eine junge Frau in einem…